Hexengewitter

woher. Sie war einfach da und lehrte uns fortan viele Dinge. Oh, sie glich dir in vielem. Du kommst von Gorgan, höre ich. Vielleicht stammte auch sie von dort. Wir fragten sie danach. Sie beherrschte die Magie des Heilens und vermochte die Naturgewalten wie keine andere zu beeinflussen. Als sie älter wurde und ich mich unter den Kindern des Stammes hervortat, unterwies sie mich in den magischen Künsten, auf daß ich eines Tages an ihre Stelle treten sollte.« Rankys Gesicht umwölkte sich. Leiser sprach sie weiter: »Nie wird eine andere so werden können wie sie. Sie war eine große Zauberin, und nur einer war mächtiger als sie.«
    »Dhogur«, erriet Mythor.
    »Der Drache«, bestätigte ihm Ranky. »Sie weckte ihn ungewollt aus seinem Schlaf und starb unter seinen mächtigen Füßen.«
    Kurz war Mythor versucht, Ranky zu sagen, daß er Dhogur nicht wirklich getötet hatte, wie sie es glaubte. Er entschied sich dagegen.
    Er streckte ihr die Hand entgegen.
    »Wartet!« rief Gerrek. »Mich interessiert noch etwas. Du sagst, dein ganzer Stamm sei an Bord der Südwind gekommen, Ranky.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Aber das waren nur Frauen! Keine Kinder und keine Männer.«
    Sie lachte schallend und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust.
    »Keine Männer, Beuteldrache! Wozu sollen wir uns mit Männern herumärgern? Wenn wir sie brauchen, rauben wir sie von den Nachbarinseln und jagen sie dorthin zurück, nachdem sie uns zu Gefallen waren. Und dann gibt es auch bald Kinder.«
    Kalisse fiel in ihr Gelächter mit ein, gab dem Mandaler einen Stoß in die Rippen und half ihm, sich wieder aufzurichten.
    »Zufrieden, du… Mann?«
    Ranky ergriff Mythors dargebotene Hand und drückte sie fest.
    »Alles Gute für euch«, flüsterte das rauhe Inselweib, »und daß du finden magst, wonach du suchst… Drachentöter!«
    Sie zog die Hand zurück und schlug sie ihm vor die Brust, daß er mit den Armen ruderte und neben Gerrek zu liegen kam.
    »Anscheinend«, sagte der Mandaler, wobei er sich wie gelangweilt auf einen Ellbogen stützte, »ist das ihre Art zu sagen: Ich mag dich…«
    »Dann ist sie in dich Hals über Kopf verliebt, Beutelmann!« lachte Kalisse.
    Bald darauf wurde sie ernst. Die Amazonen und Inselweiber hatten alle noch herbeigeschafften Weinkrüge geleert und schickten sich an, auf ihre Schiffe zurückzukehren. Die ausgelassene Stimmung wich einer anderen, düstereren. Gudun, Gorma und Tertish warteten an einem der Eingänge.
    Scida hatte Til-Muini eigenhändig wieder auf deren Thron gesetzt und nickte den Gefährten grimmig zu. Sie hatten eine Verschnaufpause bekommen - mehr nicht. Die rauhe Wirklichkeit griff unbarmherzig wieder nach ihnen.
    »Kommt!« rief Tertish. »Es wird Zeit für uns!«

Epilog
    Wieder in der Silberspeer, beobachteten Hasbol und ihre Amazonen gebannt, wie sich Dutzende von Seeschiffen zugleich aus den Grotten und riesigen Höhlen schoben, die die einzigen Zugänge zu Keysland vom Meer her bildeten. Dort, unter dem glitzernden Eis, hatten sie Schutz vor dem Hexengewitter gefunden, wenngleich es vor erreichen Keyslands erneut schwere Verluste gegeben hatte.
    Um die Luftflotte war es hingegen ungleich schlimmer bestellt. Die Ballons hatten sich nicht in Sicherheit bringen können. Mehr als die Hälfte jener, die Keysland noch erreicht hatten, war von Blitzen zerrissen oder in Brand gesetzt worden.
    Das war vorbei.
    Die Schwimmende Stadt lag vor Zaems Zacke des Hexensterns. Eine niedrig stehende Sonne verbreitete schwaches, kaltes Licht. Hier, am Mittelpunkt der Welt, herrschte ewiger Winter. Doch in den Herzen der Kriegerinnen loderte das Feuer, das Zaem in einem letzten, eindringlichen Aufruf aufs neue entfacht hatte:
    »Ihr, die ihr das Ziel nun erreicht habt - stürmt den Hexenstern!«
    Ja, dachte Hasbol. Wir haben es geschafft. Der Kampf mag beginnen. Einiges Kopfzerbrechen bereitete ihr nur, daß sie nicht wußte, mit welchen Waffen ihnen die Gegnerinnen entgegentreten würden. Schickten sie ihrerseits Kriegerinnen ins Feld oder beschränkten sie sich auch weiterhin auf ihre Magie?
    Der Jubel und die Gesänge der Amazonen in der Kanzel, die blitzenden Schwerter unten auf den Schiffen zeigten der Flugführerin, daß die Amazonen derlei Gedanken nicht kannten. Die Zaem würde ihnen den Weg weisen. Sie würden folgen, falls nötig, bis in den Tod.
    Hasbol wandte sich um und betrachtete Moule und Exell, die nach kurzem Aufenthalt auf Keysland wieder an Bord der Silberspeer gekommen waren.
    Die