Hexengold
hochgezogen, die Hände ineinander verschränkt, um das Zittern zu verbergen. Dann lief sie wieder aufgeregt in der Kammer umher.
Auf den ersten Blick sah es so aus, als suchte sie nach etwas, riss hier eine Schublade auf, stieß dort eine Kiste zurecht und durchwühlte schließlich einen Korb, in dem sie den Reiseproviant aufzubewahren pflegten. Schließlich eilte sie in die zweite Kammer, die mit der ersten durch eine breite Tür verbunden war, drehte dort zwei, drei Runden, prüfte das Bett, wischte über das Wandbord, rückte ein Bild an der Wand zurecht und kam schließlich wieder in das erste Gemach zurück.
Magdalena folgte der großen, schlanken Gestalt mit den Augen. Wäre sie nicht so müde gewesen, hätte sie sich darüber amüsiert, dass die große, selbstbewusste Adelaide sich derart verzagt gebärdete. Wenige Tage erst war es her, dass sie Carlotta mit ihrem aufreizenden Gebaren stark verunsichert hatte. Allein für diesen Auftritt geschah es ihr recht, sich nun selbst zu ängstigen.
Auf den Spuren der Base wanderte ihr Blick durch die Unterkunft, als nähme sie sie zum ersten Mal wahr. Die beiden Kammern, die die wohlhabende Kaufmannswitwe ihnen zugewiesen hatte, waren nicht nur geräumig, sondern dank der großen, doppelflügeligen Fenster zur Straßenseite hin auch ungewöhnlich hell. Noch fiel das letzte Sonnenlicht herein. Die reich verzierten Möbel aus dunkler Kirsche verrieten den guten Geschmack der Besitzerin. Üppige Federbetten fanden sich in den beiden breiten Betten und luden zur wohlverdienten Ruhepause ein, feine Gemälde im Stil der niederländischen Schule zierten die Wände. Auf dem Tisch in der Mitte des Raums, in dem Magdalena saß, stand eine bunte Blumenvase mit einem wohlriechenden Strauß Frühlingsblumen. Daneben wartete ein großer Kerzenleuchter darauf, bei einbrechender Dunkelheit entzündet zu werden. Vorab schon verströmte das kostbare Bienenwachs den Geruch von Verschwendung. Magdalena atmete auf. Nichts, aber auch gar nichts in diesen Gemächern wirkte unheimlich oder gar düster.
»Was ist mit dir?«, fragte sie schließlich. Keine Minute hatte Adelaide bislang in ihrem unsteten Umherlaufen innegehalten, geschweige denn Anstalten gemacht, zu einer ausführlicheren Erklärung ihrer Unruhe anzusetzen. »So kenne ich dich gar nicht. Die Reise hat dich sehr angestrengt. Leg dich eine Weile hin. Ich bleibe bei dir und achte darauf, dass dich niemand stört. Oder soll ich Mathias rufen? Vielleicht beruhigt dich die Gegenwart deines Sohnes.«
»Mach dir keine Umstände!« Schrill lachte Adelaide auf. »Den Jungen irgendwo in den Gasthäusern der Stadt zu finden wäre wohl eine große Kunst. Dieser zwielichtige Fuhrmannsknecht hat ihn wieder unter seine Fittiche genommen. Er wird ihn in eine düstere Kaschemme abgeschleppt haben. Besser, ich erfahre gar nicht erst, was er dort treibt.« Theatralisch fasste sie sich mit beiden Händen an die Schläfen und senkte für einen Moment den Blick, dann richtete sie sich wieder auf und sah Magdalena geradewegs in die Augen. »Der Junge muss seine Erfahrungen machen, wenn nicht mit seinem Vater, dann mit jemand anderem. Ich bin aber nicht so schwach, dass mich das ängstigt. Auch die tagelange Reise hat mich nicht derart aufgeregt. Es ist allein dieses Haus mit seiner unheimlichen Ausstrahlung, die mir keine Ruhe lässt.«
Endlich setzte sie sich auf den Stuhl neben Magdalena, legte die Hände in den Schoß und atmete tief ein und aus. Sanft berührte Magdalena sie am Arm. Adelaide zuckte zurück. »Hörst du das nicht? Jetzt wieder.« Sie hob den Zeigefinger und drehte das Gesicht halb nach hinten und lauschte.
Magdalena folgte ihrem Beispiel, legte den Kopf leicht schief und horchte ebenfalls. Wenn sie das Lärmen von der Straße ausblendete, vernahm sie das Treiben im Haus. Aus dem fernen Weinkeller klang leise Musik herauf, unterbrochen von Singen und Johlen. Eine Katze miaute, im Stockwerk über ihnen knarrten die Dielen, jemand schimpfte. Vom Hof her tönte verzagtes Rufen. Und da nahm auch Magdalena ein eigenartiges Geräusch wahr. Sie schloss die Augen und versuchte, sich ganz darauf zu konzentrieren, was schwierig war. Das Geräusch kam weder regelmäßig noch in derselben Lautstärke. Dazwischen grölte es von irgendeiner Seite. Doch da war es wieder. Angestrengt versuchte sie zu erkennen, was es war und woher es kam. Ehe sie eine Mutmaßung äußern konnte, verschwand es. Stattdessen polterte es auf der Treppe.
Weitere Kostenlose Bücher