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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Scham noch Angst vor dem Unbekannten waren die Ursache. Etwas anderes hieß sie zaudern, den letzten Schritt zu tun und mit anzupacken. Vor Stunden schon, als sie das rätselhafte Wimmern zum ersten Mal vernommen hatte, waren längst verdrängte Bilder in ihr aufgestiegen. Noch immer fühlte sie sich davon wie gelähmt. Sie kannte die Situation dieser armen Gebärenden aus eigenem Erleben. Gut achtzehn Jahre war es her, dass sie selbst über mehrere Tage damit gerungen hatte, ein Kind aus sich herauszupressen, das nicht herauswollte. Vergeblich, wie sich am Ende gezeigt hatte. Sie schloss die Augen. Statt zu verblassen, wurden die Erinnerungen noch intensiver: Auf einmal sah sie das Antlitz des Medicus wieder vor sich, wie er zwischen ihren Beinen herumgewerkelt hatte, hörte das Knirschen und Sägen, fühlte diesen unbändigen Schmerz im Unterleib. Jäh schluchzte sie auf und schob sich rasch die Faust in den Mund. Sie musste das alles vergessen. Niemand durfte etwas bemerken, zuallerletzt Magdalena und Carlotta. Die beiden kannten schon genügend ihrer Geheimnisse, hinter dieses sollten sie nicht kommen. Entschlossen reckte sie den Kopf und schürzte die Lippen. Sie hatte vergessen, sie noch einmal mit roter Schminke nachzuziehen. Es würde wohl niemandem auffallen. Die Frauen in dem Raum hatten anderes im Sinn, als auf ihr Aussehen zu achten. Ihr Blick wanderte zu Magdalena und Carlotta. Auch die beiden hielten sich noch im Hintergrund.
    Niemand in dem Schlafgemach hatte aufgesehen, als sie eingetreten waren. Draußen im Vestibül dagegen hatte man sie erleichtert empfangen. Das stundenlange Bangen und Warten hatte Familie und Gesinde mürbe werden lassen. Längst wussten sie sich keinen Rat mehr, zumal die Hebamme wie die Gebärende sich offenbar dem Beistand eines Medicus oder eines Geistlichen verweigerten.
    Leise setzte Magdalena die Wundarzttasche auf einem Schemel ab und bedeutete Carlotta, mit zur Waschschüssel zu gehen. Dort säuberten sie sich ausgiebig Hände und Unterarme. Das Einseifen verursachte ein quatschendes Geräusch. Weiß perlte der Schaum auf der Haut. Der Duft nach Kamille und Rosen erfüllte die stickige Luft. Magdalenas smaragdgrüne Augen blieben die ganze Zeit auf die Gebärende und die Hebamme gerichtet. Adelaide ahnte, dass ihr nicht die geringste Regung entging. Die Erschöpfung von vorhin war wie weggepustet. Hellwach saugte Magdalena das Treiben um sich herum auf. Das spitze Kinn und die hohen Wangenknochen verliehen ihrem Gesicht einen entschiedenen Zug. Ihr war anzusehen, dass sie fieberhaft nach einer Lösung suchte. Die Kraft, die in ihrem vermeintlich zarten Leib steckte, war ebenfalls gut zu spüren. Nicht mehr lange, und sie würde ins Geschehen eingreifen. Wenn sie doch nur damals schon bei ihr in Frankfurt gewesen wäre!, dachte Adelaide. Ein seltsamer Kitzel befiel sie, ihre Augen konnten nicht von ihrer Base lassen. Sie wollte die Finger nach ihr ausstrecken, sehnte sich danach, jede Faser ihres schmächtigen Körpers entlangzufahren. Vielleicht würde etwas von dessen geheimnisvoller Stärke auf sie überspringen. Gewiss aber würde sie den Zauber, der Magdalena in diesem Moment umgab, besser greifen können. Entsetzt sah sie, wie ihre rechte Hand bereits nach vorn fuhr. Rasch zog sie sie zurück und drückte sie mit der Linken fest gegen ihren Leib. Ihr Atem ging schneller, wurde lauter. Keine der anderen Frauen im Raum hörte es.
    Adelaide zwang sich, den Blick von Magdalena abzuwenden und sich weiter umzusehen.
    Der Raum diente als Schlafgemach der Hausbesitzer. Er war mit kostbaren Möbeln aus dunklem Holz eingerichtet. Außer einem breiten Bett mit einem beeindruckenden Himmel fanden sich ein nicht weniger imposanter Schrank sowie eine Truhe. Gemälde zierten die Wände. Die Fenster gingen nach hinten auf den umbauten Innenhof. Sperrangelweit standen die Flügel offen. Die abendliche Kühle wehte herein, bauschte die dunkelroten Samtvorhänge und trug den fröhlichen Lärm der nahen Gasthäuser im Gepäck.
    Adelaide wurde heiß. Das rührte nicht allein von der Anstrengung, die eigenen Erinnerungen zurückzudrängen. Das heftige Mühen und Keuchen der Gebärenden besaß eine ähnliche Wirkung. Gebannt starrte sie auf sie. Hatte sie auch so ausgesehen? Sich so schamlos einzig ihrem Schmerz hingegeben? Sie fuhr mit dem Handrücken über die Stirn. Einer Fessel gleich legte sich der Schmerz um den Schädel. Sie legte die Hand auf die Türklinke. Es sollte ein Leichtes

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