Hexengold
Geld. Abgesehen davon sind zu Messezeiten selbst die dunkelsten Spelunken begehrt. Warum sollte nicht auch eine wohlhabende Bürgersfrau die Gelegenheit nutzen, ein paar Gulden dazuzuverdienen? Noch dazu, wo sie nicht an wirklich Fremde, sondern nur an persönlich empfohlene Gäste vermietet. Das vertreibt ihr vielleicht ein wenig die Langeweile. Gäste aus aller Herren Länder kommen im Haus zusammen. Da gibt es viel zu erzählen.«
Carlotta wies unauffällig auf ein gut gekleidetes Paar, das dicht an ihnen vorüberspazierte. Die Frau trug ein reich besticktes Kleid aus feinem, dunkelrotem Samt. Ihren Hals zierte ein Geschmeide aus Gold und Edelsteinen. Ihr Begleiter trug modische Rheingrafenhosen mit vielen bunten Bändern sowie einen weiten Umhang über einem feinen, spitzenbesetzten Hemd. Stolz reckten beide die gut frisierten Köpfe in die Höhe, auf denen sie auffällige Hüte zur Schau trugen. Kaum waren sie außer Hörweite, bemerkte Carlotta: »Unglaublich, wie die Leute so wenige Jahre nach dem Krieg schon wieder so reich geworden sind! Acht Jahre sind die Schweden erst weg. Davor gab es jahrelang Kämpfe und dürre Jahre der Belagerung. Auf der Fahrt hierher haben wir oft genug gesehen, wie schwer es die Gegend getroffen hat. Trotzdem scheint mir, den Leuten hier in Leipzig geht es bereits viel besser als anderswo.«
»Du hast ein gutes Auge für das, was um dich herum geschieht.« Stolz legte Magdalena den Arm um die schmächtigen Schultern ihrer Tochter. »Vergiss nicht, dass Leipzig wie unser schönes Frankfurt eine wichtige Messestadt ist. Nicht umsonst ist es mit besonderen Privilegien ausgestattet. Seine Lage ist äußerst günstig: Kaufleute aus allen Himmelsrichtungen treffen sich hier. Vor allem für die Händler aus dem Osten ist es ein guter Ort, Waren abzusetzen. Das war schon lange vor dem Krieg so und ist es inzwischen zum Glück wieder.«
»Meinst du wirklich, Vater hat sich das entgehen lassen? Nur ein, zwei Wochen hätte er bleiben müssen, um die Messe zu erleben. Ein paar Tage früher oder später in Königsberg zu sein ändert nicht viel.« Carlotta fasste sie an beiden Händen und sah sie eindringlich an: »Komm, Mutter, lass uns nach ihm suchen. Ich bin mir sicher, wir werden ihn finden. Gleich bei unserer Wirtin fange ich an und frage sie. So wie Ehringer uns bei ihr empfohlen hat, werden auch Vater und seine Begleiter irgendwem empfohlen worden sein. Vielleicht weiß sie gar einen, der ihn bei sich aufgenommen hat. Die vier sind bestimmt aufgefallen. Schließlich sind Feuchtgruber, Diehl und Imhof wahrlich auffällige Erscheinungen.«
»Lass gut sein, Kind.« Behutsam strich Magdalena ihr über die Wange. In Carlottas entschlossener Miene erkannte sie ein Spiegelbild ihrer selbst. Sosehr sie das sonst zu freuen pflegte, so sehr erschreckte es sie in diesem Moment. Sie wandte sich ab. Carlotta sollte nicht sehen, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. Sie tastete nach dem Bernstein. »Besser, wir gehen endlich«, sagte sie. »Ich will mich ausruhen.«
Die Menge vor dem Eingang des Hauses war verschwunden. Vom Kellergewölbe her klangen muntere Stimmen nach oben. Rasch schlüpften sie durch die Tür. Die Kühle, die sie im Dämmerlicht der Diele empfing, tat gut. Erst in diesem Moment wurde Magdalena so richtig gewahr, wie warm und stickig es überall in der Stadt gewesen war. Erleichtert atmete sie auf. Sie wunderte sich nicht, dass ihnen niemand begegnete, nicht einmal die Hausfrau erschien, um sie zu begrüßen. Magdalena schickte Carlotta in die Küche, um einen großen Krug frischen, kühlen Brunnenwassers zu erbitten. »Ich gehe schon nach oben«, erklärte sie und stieg die Treppe ins obere Geschoss hinauf.
»Magdalena, endlich!« Adelaide flog ihr entgegen, als sie die Tür zur Gastkammer öffnete. »Wo hast du nur gesteckt? Ich habe mir schon das Hirn zermartert, wo ich nach dir suchen soll. In dieser riesigen Stadt mit den unzähligen Besuchern wäre es wohl leichter, die berühmte Nadel im Heuhaufen zu finden, als dich aufzustöbern.«
»Was ist?« Erschöpft sank sie auf einen Stuhl. »Kaum eine Stunde werde ich unterwegs gewesen sein. So lange hält eine Frau wie du es doch auch allein aus.«
»Pah!« Adelaide stieß einen eigenartigen Ton aus. »Es ist so unheimlich hier! Schau dir nur diese düsteren Gemäuer an. Horch in die Stille, dann weißt du, was ich meine.« Einen Moment sah sie Magdalena aus ihren schwarzen Augen durchdringend an, die Augenbrauen
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