Hexengold
Aufgeregte Schritte näherten sich der Tür. Statt anzuklopfen, stieß jemand die Tür auf.
»Schnell, Mutter! Sie brauchen deine Hilfe.« Carlotta japste nach Luft, bevor sie fortfuhr: »Seit Stunden liegt die Nachbarin in den Wehen. Auf einmal geht es nicht mehr weiter. Die Hebamme behauptet, das Kind wäre tot. Ich denke, sie weiß sich keinen anderen Rat, als es im Leib zu zerschneiden und in Einzelteilen herauszuziehen.«
»Still!« Adelaide sprang auf und hielt sich die Ohren zu. »Ich will das gar nicht so genau wissen! Dass du solche Sätze überhaupt in den Mund nimmst.«
Überrascht starrte Carlotta sie an. Die Furcht der letzten Tage war wie weggezaubert. Magdalena war unterdessen bereits zu der Kiste geeilt, in der sie ihre Wundarztutensilien aufbewahrte. »Aus ihrer Sicht ist das vermutlich der einzige Weg, wenigstens die Mutter zu retten. Wahrscheinlich hat die Frau schon einen Stall voll Kinder. Nicht auszudenken, wenn sie stirbt. Schnell, lasst uns gehen, bevor es zu spät ist!«
Sie zerrte auch Adelaide am Arm. Die aber riss sich los. »Ich bin keine Hebamme, genauso wenig wie du. Was sollen wir da? Bist du wahnsinnig, uns in die Sache hineinzuziehen? Hat dich irgendwer darum gebeten?« Sie funkelte Carlotta böse an. »Was, wenn die Sache schiefgeht? Wenn Kind und Mutter trotz deiner Hilfe sterben?«
»Nichts zu tun ist noch schlimmer«, entgegnete Magdalena kühl. »Wenn ich weiß, jemand ist in Not, kann ich als Wundärztin nicht …«
»Hast du jemandem erzählt, dass deine Mutter Wundärztin ist?« Ungehalten unterbrach Adelaide sie, griff nach Carlottas Arm und schüttelte sie. »Hast du ausgeplaudert, dass ich …«
»Was soll sie schon groß über dich ausgeplaudert haben?«, ging Magdalena dazwischen. »Dass du diesen seltsamen Fleck am Rücken hast und dich selbst manchmal für eine Zauberin hältst?« Über ihren Worten erblasste Adelaide, Furcht stand in ihren Augen. Mit dieser Bemerkung war sie zu weit gegangen. »Entschuldige, das war nicht recht von mir.« Magdalena senkte den Blick und seufzte, bevor sie weitersprach. »Komm, wir werden nebenan gebraucht. Es reicht zu wissen, dass jemand in arger Not ist. Seit Stunden hörst du die Rufe. Jetzt ist klar, woher diese seltsamen Geräusche stammen.«
Noch einmal fasste sie nach dem Arm ihrer Base und zog sie mit sich. Carlotta folgte ihnen und erklärte hastig: »Nichts habe ich von dir erzählt, Tante Adelaide. Das musst du mir glauben! Als ich Wasser holen wollte, hat mir die Köchin von der schlimmen Geburt erzählt. Keiner hat was von einer Wundärztin gesagt. Keiner weiß überhaupt davon.«
»Wir werden ohnehin keine große Hilfe sein.« Adelaide schüttelte missmutig den Kopf. »Was sollen eine Wundärztin, die im Krieg Beine abgesägt hat, ein dreizehnjähriger Naseweis wie du und eine verzweifelte Witwe wie ich schon groß ausrichten, wenn ein Kind nicht herauswill? Die arme Frau braucht eher ein Wunder als so nutzlose Helfer wie uns.«
»Was hast du nur immerzu?« Magdalena drehte sich auf dem Treppenabsatz noch einmal nach ihr um. »Warum sträubst du dich so sehr dagegen, einer Frau im Kindbett zu helfen? Ist es wirklich so, dass du Angst hast, als Hexe verleumdet zu werden?« Eindringlich musterte sie die Base. Das schöne, blasse Gesicht war noch weißer geworden. Unstet glitten die riesigen schwarzen Pupillen in den Augäpfeln umher.
»Pah! Von wegen Hexe! Es gibt noch andere Dinge, die lassen eine Frau nicht unberührt«, erwiderte Adelaide leise.
Unwillkürlich nahm Magdalena ihre Hand, drückte sie fest. »Verzeih, ich wusste nicht, dass du …«
»Nichts weißt du, gar nichts!« Mit einem Ruck entzog sich Adelaide und eilte, ohne sie noch einmal anzusehen, blindlings die Treppe hinunter und hinüber ins Nachbarhaus zu der Frau, deren Kind nicht aus dem Leib hinauswollte.
6
Sieben Schwangerschaften hatte Adelaide bis zur Niederkunft durchgestanden. Sechs Mal war all ihr Pressen und Leiden vergeblich gewesen, nur Mathias hatte den für Mutter und Kind so gefährlichen Akt lebend überstanden. Als Helferin war sie jedoch noch nie bei einer Geburt zugegen gewesen. Zu Hause in Frankfurt war es ihr stets gelungen, entsprechendem Bitten und Drängen von Nachbarinnen und Freundinnen zu entfliehen. Zu sehr grauste ihr vor dem, was in diesem dramatischen Moment mit einer Frau geschah.
Auch in Leipzig verharrte sie unschlüssig an der Tür, setzte keinen Schritt weiter in das fremde Schlafgemach hinein. Weder
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