Hexengold
näher an die Frau heran.
Prüfend glitt ihr Blick über die schmächtige Gestalt. Das helle Haar klebte schweißnass an dem winzigen Schädel. Die Haut war so durchscheinend, dass die roten und blauen Adern deutlich sichtbar waren. Die geschlossenen Augenlider zuckten, in den langen, blonden Wimpern hingen Tränen. Behutsam beugte sich Magdalena über die junge Frau und strich ihr über die Wange. Ein zarter Hauch von Veilchenduft hing darüber. Magdalena hielt den Atem an. Zum ersten Mal kam sie der jungen Frau so nah. Unter der Berührung entspannten sich ihre Gesichtszüge. Magdalena tastete nach dem Handgelenk und fühlte den Puls. Gleichzeitig beobachtete sie die Frau. Wie sie erwartet hatte, krampfte sich nach einer genau bemessenen Zeit der Leib von neuem zusammen.
»Was ist mit ihr? So sagt es mir doch endlich!« Pohlmann verlegte sich aufs Flehen.
»Scht!« Magdalena legte den Finger auf die Lippen und zählte langsam und gleichmäßig. Abermals erfolgte der Krampf nach einer bestimmten Zeitspanne. Um ganz sicherzugehen, zählte sie noch ein weiteres Mal, dann waren alle Zweifel beseitigt: Die junge Kaufmannsgattin hatte Wehen. Ihr unterer Körper lag zur Seite gekrümmt zwischen den Beinen ihres Gatten, der Stoff des Kleides bauschte sich darum. Unmöglich, in dieser Lage zu erkennen, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten sein mochte. In jedem Fall war es viel zu früh für die Niederkunft. Mitleidig sah sie Pohlmann an. »Lasst uns bitte eine Weile allein. Es wäre einfacher, wenn ich Eure Frau ungestört untersuchen kann.«
»Auf keinen Fall! Das darfst du nicht zulassen, Junge«, riet seine Mutter in schneidendem Ton. »Lass sie nicht allein mit ihr. Wer weiß, was sie mit ihr vorhat. Denk an den armen Helmbrecht.«
Unsicher betrachtete Pohlmann seine Frau, strich ihr zärtlich über den Kopf. Kurz öffnete sie die Augen und sah zu ihm empor, um im nächsten Moment nach seiner Hand zu greifen und sie fest zu drücken. Weiß traten die Knöchel an den Gelenken hervor. Eine weitere Welle unsäglichen Schmerzes brach über sie herein. »Bitte!«, presste sie tonlos zwischen den zusammengekniffenen Lippen heraus. »Bitte, lasst sie mir endlich helfen!« Die letzten Silben gingen in einem kläglichen Wimmern unter.
Noch immer bewegte sich Pohlmann nicht und sah stattdessen hilflos auf seine Mutter. Deren Miene war zu einer starren Maske geworden. »Tu, was du für richtig hältst.« Sie drehte sich um und stolperte halb gebückt unter der Wagenplane hinaus. Gerade noch war zu sehen, wie der Fuhrmann ihr die Arme entgegenstreckte, um sie vom Kutschbock zu heben.
»Warte, Mutter«, rief Pohlmann ihr nach. Ein letztes Mal strich er seiner Gemahlin über den Kopf, dann bettete er sie vorsichtig auf den Boden. »Seid vorsichtig«, bat er Magdalena, ohne sie noch einmal anzusehen, und krabbelte auf allen vieren zur rückwärtigen Öffnung heraus. Die Magd Hanna folgte ihm wortlos. Bevor sie hinter der Plane verschwand, wandte sie sich jedoch noch einmal um, flüsterte laut ein »Gott steh uns bei!« und zeichnete ein weiteres Kreuzzeichen in Richtung der jungen Frau durch die Luft.
»Danke«, murmelte Magdalena und schob der jungen Frau sogleich die Röcke hoch.
Wie sie vermutet hatte, hatte sie bereits heftige Blutungen. Bei jeder Wehe floss Wasser aus ihrem Leib. Ein riesiger dunkler Fleck hatte sich auf dem hellen Holz des Wagenkastens ausgebreitet. Der süßliche Geruch zog die Fliegen an. Schnell wedelte Magdalena die lästigen Viecher mit der Hand weg. Die Abstände zwischen den Wehen wurden kürzer. Erstaunt stellte Magdalena fest, dass der Bauch der Frau bereits stärker vorgewölbt war, als sie vermutet hatte. Der großzügig fallende Stoff der Kleidung hatte das gut verborgen. Vielleicht bestand doch Hoffnung, das Kind lebendig aus ihr herauszuholen.
»Brauchst du Hilfe?« Carlotta kletterte unter die Plane. »Deine Kiste habe ich mitgebracht.« Mit diesen Worten stellte sie die Wundarztutensilien auf den Boden, schnappte sich ein kleines Tuch und fächelte ihrer Mutter Luft zu. Das vertrieb für eine Weile auch die Fliegen.
Magdalena dankte es ihr mit einem knappen Nicken. Den Blick hielt sie weiterhin auf die Patientin gerichtet, strich immer wieder behutsam mit der Hand über deren Leib. »Lass Feuer machen und Wasser aufkochen. Bring mir außerdem so viele Leintücher, wie du finden kannst.«
Atemlos stieß sie die Anweisungen heraus. Ihr Gefühl sagte ihr, dass wenig Zeit blieb,
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