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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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das Richtige zu tun. Noch aber wusste sie nicht so recht, was das sein sollte. Sie war schließlich Wundärztin und keine Hebamme. Eine seltsame Laune des Schicksals, dass sie innerhalb weniger Wochen zum zweiten Mal als Geburtshelferin gebraucht wurde – und dann auch noch bei so schwierigen Fällen. In Leipzig war es eine glückliche Fügung gewesen, sofort den richtigen Griff mit dem gewünschten Erfolg vollbracht zu haben. Und das, obwohl sie ihn jahrelang nicht mehr verwendet hatte, eigentlich überhaupt nur zwei Mal selbst ein Kind im Bauch der Mutter gedreht hatte. Sonst hatte sie stets nur der alten Hebamme Roswitha dabei zugeschaut. Dieses Mal jedoch schienen die Karten noch schlechter zu stehen. Dabei lag das Kind nicht verkehrt herum. Etwas anderes stimmte bei der bevorstehenden Niederkunft nicht. Um herauszufinden, was das war, fehlte Magdalena weitaus mehr als nur die praktische Übung mit den wichtigsten Hebammengriffen.
    Erschöpft schloss sie die Augen, fingerte nach dem Bernstein und hoffte inständig auf Beistand. Als sie die Augen wieder öffnete, hockte Carlotta noch immer neben ihr. Sie hatte sich nicht vom Fleck gerührt. »Nun mach schon«, fuhr sie das Mädchen schroff an. »Worauf wartest du? Es ist eilig!«
    »Wie du meinst«, antwortete sie schulterzuckend und verschwand.
    »Verehrte Frau Grohnert, was geht bei Euch da drinnen vor?« Mitten in das Wimmern und Jammern der jungen Pohlmännin drang Helmbrechts Rufen von draußen herein. Sobald Magdalena sich dessen gewahr wurde, war sie schon nicht mehr sicher, ob er nicht bereits seit längerem vor dem Wagen stand und rief. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die Frau gerichtet, gut möglich, dass sie darüber alles andere um sich herum vergessen hatte. In drängendem Ton meldete sich Helmbrecht wieder: »Wir müssen weiter. Wir können so nicht länger stehen bleiben. Die Wagen befinden sich mitten auf dem Feld, schon von weitem sichtbar und ohne jedweden Schutz. Ich weiß nicht, was dort drinnen bei Euch vor sich geht. Lasst uns wenigstens bis zum nächsten Waldsaum fahren. Es dauert nicht lang. Dort haben wir zumindest für eine kleine Weile mehr Schutz als hier.«
    Aufgeregtes Gemurmel unterstrich seine Forderung. Magdalena wischte sich mit dem Handrücken über die klebrige Stirn. Inzwischen plagten auch sie die Fliegen und Stechmücken. In immer größeren Schwärmen wurden sie von der Schwüle unter der Plane und der süßlichen Flüssigkeit aus dem Leib der Gebärenden angelockt. Möglicherweise würde die Plage am Waldrand abflauen.
    Besorgt sah Magdalena auf die junge Wöchnerin. Vorübergehend waren die Wehen schwächer geworden und kamen auch weniger schnell hintereinander. Auch die Blutungen hatten nachgelassen.
    »Haltet Ihr noch etwas durch?«, fragte sie die junge Frau und streichelte ihr sanft über die Wange. Dabei sah sie ihr eindringlich ins Gesicht. Die Frau schlug die Augen auf. »Ja«, stieß sie hervor und ergab sich der nächsten Schmerzwelle.
    »Bis zum Wald, aber nicht weiter!«, rief Magdalena nach draußen. »Der Wagen muss vorsichtig fahren. Jede Erschütterung kann großes Unheil anrichten.«
    »Danke!« Selbst in dem kurzen Wort klang Erleichterung mit. Sie hörte, wie Helmbrecht knappe Anweisungen erteilte. Das Ruckeln des Wagens musste vom Kutscher rühren, der wieder auf seinen Platz kletterte. Schon wurde die Plane gehoben. Sie wollte dagegen protestieren, ein Mann hatte bei einer Geburt nichts verloren. Erleichtert erkannte sie Carlottas schmales Gesicht. »Ich komme zu dir«, erklärte das Mädchen und reichte ihr einen dicken Ballen Weißzeug. »Das heiße Wasser werden wir erst am Waldrand richten können. Ich habe es Mathias bereits erklärt. Er wird sich darum kümmern.«
    Magdalena stockte. »Mathias? Warum ausgerechnet er?«, fragte sie ungläubig. Carlotta aber tat, als hörte sie die Frage nicht, sondern zwängte sich an ihr vorbei nach hinten. Geschickt bettete sie sich den Kopf der Frau in den Schoß und strich ihr das nasse Haar aus der Stirn. Mit der anderen Hand versuchte sie, Säcke und Körbe rechts und links der Patientin als notdürftige Polster zurechtzurücken. Dann wühlte sie in der Wundarztkiste und zog ein Leinensäckchen heraus. Als sie es öffnete, erkannte Magdalena, was sich darin befand: getrocknete Blätter Poleiminze. Sie lächelte und beobachtete, wie Carlotta der Gebärenden damit über die nackte Haut strich. Das würde ihr wenigstens vor den Mücken Ruhe verschaffen.

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