Hexengold
gleich daneben Gemüse, eine rupfte ein Huhn, eine andere nahm einen Fasan aus. An langen Tischen auf der gegenüberliegenden Längsseite der Diele saßen Offiziere und Soldaten, würfelten und zechten, als hockten sie im Wirtshaus. Ihre Waffen lagen nicht weit entfernt am Fuß einer geschwungenen Holztreppe. Dort hinauf wies der Schwede Magdalena und Carlotta.
Der Hauptmann empfing sie im Wohnraum in der oberen Etage. Die Flügeltür stand weit offen. Die hohen Fenster lagen nach Osten zur großen Straße hinaus. Das hereinfallende Licht erhellte den dunkel getäfelten Raum. Schwere Kirschholzmöbel verrieten auch hier den Wohlstand der vormaligen Hausbesitzer.
Klopfenden Herzens trat Magdalena aus dem Schatten der Begleiter und sah dem Hauptmann in dem breiten Lehnstuhl entgegen. Noch richtete er den Blick aus dem Fenster. Viel mehr als seinen von grauem Haar umgrenzten, kantig wirkenden Schädel und den nach vorn gekrümmten Oberkörper konnte sie zunächst nicht erspähen.
»Das also ist die weit gereiste Wundärztin, die mir helfen soll.« Eine schnarrende Stimme ließ sich vernehmen. »Wartet hinter der Tür. Bevor sie mir Gift verabreicht, werde ich euch gern zu Hilfe rufen.«
Ein gequältes Lachen erklang. Die anderen Männer stimmten zögerlich ein. Eindeutig war der Hauptmann bei seinen Leuten mehr gefürchtet als geachtet. Kaum drehte sich der Offizier endlich zu ihr um, wusste sie, warum: Vor ihr saß Hauptmann Lindström.
Trotz der ergrauten Haare erkannte Magdalena ihn auf Anhieb. Nie würde sie das Gesicht des Mannes vergessen, der in den letzten Jahren des Großen Krieges so schändlichen Verrat an Christian Englund begangen hatte. Viel hatte damals nicht gefehlt, und er hätte auch sie und ihren damaligen Gefährten Rupprecht ans Messer geliefert.
»Sieh an, sieh an, die rote Magdalena!«, schnarrte er und heftete den Blick seiner eiskalten grauen Augen auf sie. Ein gequältes Lächeln umspielte seine herabhängenden Mundwinkel. »Wie schön, dich wiederzusehen. Sind deine Heilkünste noch immer so gut wie vor zehn Jahren? Wir wollen es doch hoffen. Sonst sieht es schlecht aus für dich und dein liebreizendes Töchterlein. Haben meine Leute es dir erzählt? Üble Schmerzen suchen mich seit Wochen heim. Das schlägt mir erheblich auf die Laune. Wohl dem, der mir Abhilfe verschaffen kann. Von hilflosen Quacksalbern habe ich genug. Tritt mir noch einer mit sinnlosen Mitteln zu nahe oder zwingt mich, bitteres Zeug zu schlucken, das nicht hilft, werde ich mich kaum mehr beherrschen können.«
21
Mild schien die Sonne auf Adelaides Rücken und wärmte sie. Ihr war, als erwachte sie aus einem Jahrhunderte währenden Alptraum. Sie hob den Kopf und blinzelte in die Helligkeit. Der Himmel wölbte sich tiefblau über ihr, keine Wolke zog vorüber. Das tiefe, kehlige Rufen einer Amsel wurde unterbrochen vom aufgeregten Trällern zweier Meisen. Ein Specht hämmerte gegen einen Baumstamm, ein anderer antwortete mit nicht minder schnellem Hämmern aus der Ferne. In den Gräsern surrte es unablässig. Eine Wolke Mücken schwärmte heran. Wild um sich schlagend, suchte sie sie zu vertreiben.
Im selben Moment überfiel sie das ganze Unglück der letzten Nacht von neuem. Sie spähte zu der Stelle, an der die alte Pohlmännin lag. Leer und starr blickten die farblosen Augen gen Himmel. Adelaide kroch zu ihr und strich ihr die Lider zu. Der Tod konnte sie noch nicht lange geholt haben. Noch fühlte sich die Haut erstaunlich warm an. Adelaide biss sich auf die Lippen. Gewiss war es besser so. Sie betrachtete das runzelige Gesicht, das trotz des Leids der letzten Stunden friedlich wirkte.
Jäh fuhr Adelaide herum. Was tat sie so lang bei den toten Weibern? Mathias musste sie finden! Hastig durchwühlte sie die Kisten und stieß tatsächlich auf etwas Brauchbares zum Anziehen. Mit den Händen kämmte sie ihr Haar und steckte es hoch, schlang eine von Hannas Hauben darum. Nach Geld brauchte sie nicht zu suchen. Das hatten die Räuber gewiss längst vor ihr gefunden und eingesteckt. Sie entdeckte einen Kanten Brot und Schinken. Obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, je wieder Hunger zu verspüren, war sie besonnen genug, es einzustecken. Unter den Resten des zweiten Wagens stieß sie auf einen Weinschlauch. Gierig trank sie. Den Schlauch würde sie ebenfalls mitnehmen.
Nach einem letzten Rundgang war sie sicher, nichts Nützliches übersehen zu haben und vor allem keinen Lebenden mehr unter den Opfern zu wissen.
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