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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Hinsehen war sich Adelaide sicher, dass er aus dem Schultergelenk ausgekugelt war. Die Schmerzen mussten entsetzlich sein. Trotzdem versuchte sich der Kaufmann in einem aufmunternden Lächeln. »Wie geht es Euch, Verehrteste?«
    Sie erstarrte. Seine Frage war wie eine schallende Ohrfeige. Sie schnappte nach Luft.
    Er aber schien nichts von ihrem Entsetzen zu bemerken. Den Hut hatte er verloren, sonst hätte er ihn gewiss schwungvoll gezogen, um sich vor ihr zu verneigen. Der angedeutete Kratzfuß brachte ihn ins Taumeln. Auch seine Beine schienen verletzt.
    Offenbar verfolgte er mit der Frage die besten Absichten. Es ging ihm einzig darum, sie aufzumuntern. Ein warmer Strahl der Zuneigung zuckte durch Adelaides geschundene Seele. Dass ausgerechnet Helmbrecht vor ihr stand und solches beabsichtigte, musste Tieferes bedeuten! Tapfer erwiderte sie sein Lächeln, gleichzeitig spürte sie, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Ein dicker Kloß blockierte ihr den Hals. Sie war unfähig, etwas zu sagen. Aufschluchzend warf sie sich gegen seine Brust und weinte hemmungslos los.
    Helmbrecht musste die Berührung große Schmerzen bereiten. Dennoch versagte er sich jegliche Bemerkung. Sobald sie wieder bei Sinnen war, fühlte sie das rasche Pochen seines Herzens und den keuchenden Atem. »Verzeiht, ich wollte Euch nicht wehtun!« Sie richtete sich auf und sah ihn an. Schniefend wischte sie sich die nassen Wangen und reckte die Nase, um zumindest einen kleinen Rest Haltung zu gewinnen.
    »Schon gut, Verehrteste. Grämt Euch nicht. Fürchterliches liegt hinter Euch!« Er räusperte sich. »Was kann ich tun, Euch zu helfen?«
    »Ach.« Sie senkte den Blick. Seine Reaktion bewies ihr, dass sie von ihrem vertrauten Auftreten noch weit entfernt war. Ein neuer Hoffnungsschimmer keimte in ihr. »Wo kommt Ihr her? Wisst Ihr, wo mein Sohn steckt?« Erwartungsvoll sah sie ihn an.
    Sein Blick glitt in weite Fernen. »Euer Sohn – also – nun ja.« Er hüstelte in die Faust, bevor er sich ihr langsam wieder zuwandte. »Zumindest kann ich Euch versichern, dass er lebt. Dass es ihm wohl gut geht.«
    »Was heißt das?« Schrill gellten ihre Worte durch die Stille des Waldes.
    »Seid Ihr wahnsinnig, so zu brüllen? Die Lumpen können noch überall stecken und zurückkommen!«
    Beschämt verstummte sie. Er fasste sie mit seiner gesunden Hand am Ellbogen und hieß sie auf diese Weise, mitzukommen. Fragend zog sie die Augenbraue hoch, brachte jedoch kein weiteres Wort heraus. Auch Helmbrecht sagte nichts.
    Eine Weile stolperten sie schweigend nebeneinander her durch das dichter werdende Gestrüpp, weit ab von den Wegen, die sie vorhin gegangen war.
    Es fiel ihr nicht leicht, mit ihm Schritt zu halten. Seinen Verletzungen zum Trotz bewegte er sich behende durch das Dickicht und schien kaum wahrzunehmen, wie sehr ihr sein Tempo zu schaffen machte. Zweige und Steine lagen ihr im Weg, hin und wieder knickte sie mit dem Fuß in einem Loch ein. Einem spitz aufragenden Baumstumpf konnte sie gerade noch ausweichen. Ihre zarten Schnallenschuhe waren nicht für lange Märsche gemacht. Die Sohlen erwiesen sich als zu dünn, die Nähte als zu schwach. Erste Löcher bohrten sich hinein.
    Der Himmel zeigte sich bald dicht bewölkt. Die weißen Wolkenberge waren dunklen Regenwolken gewichen. Das Zwitschern der Vögel verstummte, auch das Summen lästiger Mücken hatte nachgelassen. Das Donnergrollen dagegen erklang immer öfter und lauter. Das Gewitter konnte nicht weit sein. Heftige Windböen pfiffen durch die Bäume.
    »Dort werden wir unterkommen«, verkündete Helmbrecht und wies mit dem Kopf nach vorn.
    Erstaunt erspähte Adelaide ein Holzhaus, dessen Umrisse sich aus dichtem Gebüsch herausschälten. So war es aus der Ferne kaum zu erkennen. Beim Näherkommen erst wurde Adelaide der Kuhle gewahr, in die es sich duckte. Die Fenster lagen fast ebenerdig, das Dach ragte kaum ein halbes Geschoss aus den umstehenden Haselnusssträuchern heraus. Efeu umrankte die Wände an der Stirnseite. Hätte die Frau, die aus der Tür trat, keine weiße Haube getragen, wäre sie ebenfalls mit dem grün-braunen Hintergrund verschmolzen.
    »Helmbrecht!«, rief sie aus und winkte. Trotz der einsamen Lage des Hauses gab es für sie anscheinend keinerlei Grund, sich zu verbergen. »Wie schön, Euch zu sehen.« Sie wischte die Finger an einem schlichten, braunen Leinengewand trocken, lief einige Schritte auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. Im selben Moment

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