Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
auch welche, die der Arbeit aus dem Wege gingen, aber das waren meist dieselben, die auch sonst keinen allzu übermäßigen Eifer zeigten.
»Wer aber sagt ihnen das? Warum wissen sie, wo der kürzeste Weg ist, wenn sie ihn auf Grund ihrer Körpergröße gar nicht sehen können?« Ganz offensichtlich trat auch hier ein Teil des göttlichen Schöpfungsplanes deutlich zu Tage.
Vor einigen Wochen hatte er seiner Mutter eröffnet, dass er Priester werden wolle. Überglücklich wollte sie ihn in ihre Arme schließen, aber Johannes reagierte abweisend und wand sich aus ihrer Umarmung.
»Das ist jetzt vorbei, Mutter«, sagte er und sah sie ernst an.
Sie hatte ihm nie gesagt, dass dies ihr Herzenswunsch war und sie jeden Tag darum betete, ihren Sohn als Geistlichen zu sehen. Nun aber war sie durch seine schroffe Antwort doch verletzt. »Siehst du mich denn nicht mehr als deine Mutter an?«
Er blickte gerade in ihr betroffenes Gesicht. »Selbstverständlich bist und bleibst du meine Mutter, die ich auch bis in den Grund meines Herzens liebe. Aber ich habe mir vorgenommen, körperliche Berührungen mit allen Menschen auf das Notwendigste zu beschränken. Das lenkt nur ab und trübt das Urteilsvermögen!«
Besorgt sah sie, wie der Bub immer magerer wurde, da er am Morgen nur noch eine Tasse kaltes Wasser trank und am Abend bestenfalls einen dünnen Tee zu sich nahm.
Als er schließlich nur noch Haut und Knochen war, konnte sie es nicht mehr mit ansehen. Sie ging zum Abt, der ihm befahl, wenigstens in der Früh feste Nahrung zu sich zu nehmen und auch abends eine Kleinigkeit zu essen.
»Das kannst du machen, wenn du erwachsen bist. Aber in deinem Alter ruinierst du dir damit deine Gesundheit!«, sagte dieser streng. »Denk an unseren Ordensgründer, den heiligen Benedikt. Das war ja schließlich einer der Anstöße für seine Ordensregel Ora et labora -bete und arbeite, die den Menschen in seiner Gesamtheit umfasst. Auch er lebte anfangs in einer Höhle und zu seiner Zeit gab es Tausende und Abertausende, die sich selbst irgendwelche strengen Gelübde auferlegten und ihr irdisches Dasein mit Selbstkasteiung verbrachten, indem sie den Herrn in seinem Leiden am Kreuz sogar noch zu überbieten versuchten. Sie bevölkerten die Wälder und Einöden und versuchten in ihrer Verblendung gegen die gottgeschaffene und gottgewollte Natur zu leben, indem sie sich immer noch größere und heftigere Qualen ausdachten. Sie zogen wie Jesus der Herr in die Wüste, aber nicht wie dieser für vierzig Tage, sondern gleich für ihr ganzes Leben und verbrachten es damit, unablässig Tag und Nacht um Gnade und Barmherzigkeit für sich zu flehen. Manche schlugen sich unter ständigem Gebet die Köpfe am Boden blutig, andere ließen sich in Tierhäute einnähen oder in den heißen Wüstensand eingraben, andere liefen in dreckigen Lumpen voll Ungeziefer und mit gebundenen Händen auf dem Rücken herum und wieder andere behängten sich mit schweren Eisengewichten oder stiegen auf Säulen, auf denen sie Jahre oder gar Jahrzehnte lang ausharrten. Ein gewisser Salamanius aus Kapersana ließ sich lebendig einmauern und gelobte, niemals mehr ein einziges Wort zu sprechen, ein Thaleläus klemmte sich zehn Jahre lang in einen Wagenreifen und zog sich dann in einen eisernen Käfig zurück. Diese Narren! Sie ruinierten ihre Gesundheit und meinten, das sei die wahre Gottesfurcht. Der einzige Gedanke, zu dem sie noch fähig waren, war der Tod und ihr eigenes Seelenheil. Sie kümmerten sich nur um sich selbst und ließen die ihnen von Gott gegebenen Gaben verkommen. Aber was sage ich? Schau dich um, es gibt auch jetzt noch genügend solcher Tölpel, die ihren ganzen Verstand darauf verwenden, ihren Körper, das Gefäß ihrer Seele, zu malträtieren und zu beschädigen. Nicht wenige von ihnen sind auch noch so eitel, dass sie darin wetteifern, noch mehr Schmerz und Ungemach ertragen zu können als andere. Es geht ihnen längst nicht mehr um Gotteserfahrung, sondern sie haschen nach Anerkennung und Bewunderung. Verwende deinen Geist, um Gott und den Menschen zu dienen, nicht aber dazu, um deine Person in den Mittelpunkt deiner Welt zu stellen! Askese ja, aber mit Maß und Ziel und erst dann, wenn du ausgewachsen bist!«
Für Johannes war es anfangs klar vorgegeben, dass er Benediktinermönch werden würde. Ein Leben als Säkularpriester konnte er sich nicht vorstellen, das wäre ihm zu laut und mit zu vielen Ablenkungen verbunden gewesen. Aber je älter er
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