Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
wurde und je mehr er in das Klosterleben des Ordo Sancti Benedicti tieferen Einblick bekam, desto mehr Zweifel kamen in ihm hoch.
Irgendwann wurde er beim Abt vorstellig, dem er seine Bedenken vortrug. »Ein Priester, wie ich es werden möchte, muss beim Volke sein, er muss zum Volke gehen. Die benediktinische Weise der Frömmigkeit und Gelehrtheit möchte ich nicht in Abrede stellen, im Gegenteil. Sie hat viel Gutes bewirkt, denken wir nur an die Universitäten, ohne die das heutige Abendland undenkbar wäre, und sie wird es auch weiterhin tun. In der Regel 33, Punkt 3 des heiligen Benedikt heißt es: ›Keiner habe etwas als Eigentum, überhaupt nichts, kein Buch, keine Schreibtafel, keinen Griffel, gar nichts.‹ Der Orden selbst aber besitzt Ländereien, die von Leibeigenen bewirtschaftet werden, was zugegeben zwar für diese nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile bringt, er lässt prächtige Klöster bauen und seine Mönche sitzen an einer gut gedeckten Tafel. Viele Menschen verstehen es nicht, dass die Kirche Armut predigt, selbst aber irdische Güter besitzt und dafür Abgaben einfordert!«
»Was glaubst du, was Isny ohne uns Benediktiner wäre? Ein bedeutungsloses kleines, schmutziges Kuhdorf«, entgegnete der Abt unwirsch.
»Versteht mich nicht falsch: Ich verurteile das nicht, ich würde ohne die Eure großzügige Unterstützung, die ohne irdischen Besitz nicht möglich gewesen wäre, heute wahrscheinlich Schweine hüten oder ein armseliges Dasein als Flickschuster wie mein Vater fristen. Ich könnte weder lesen noch schreiben, wüsste nichts von Scholastik und der Mystik der großen Heiligen. Aber die benediktinische Art des Dienstes an Gott und den Mitmenschen entspricht nicht meinen Vorstellungen, sie ist mir nicht radikal genug. Bitte haltet mich nicht für hochmütig und eingebildet. Ich möchte zu einem armen Orden, da ich auch durch Eure Unterrichtung weiß, dass irdische Güter den Blick auf das Wesentliche und wirklich Wichtige verstellen oder zumindest trüben. Bei den Benediktinern müssten die Menschen zu mir kommen, ich aber möchte zu ihnen gehen, ohne aber Gefahr zu laufen, mein Herz und meinen Verstand mit vergänglichen Dingen zu belasten.«
Der Abt sah ihn daraufhin lange an. »Zu den Franziskanern oder Dominikanern möchtest du also? Weißt du, wie viele Auseinandersetzungen gerade wir mit ihnen wegen ihrer Vorstellung von Armut hatten? Auch wir sind als einzelne der strengen Armut verpflichtet, dadurch aber sind wir als Gemeinschaft durch unsere Klöster und Besitzungen unabhängig. Sie aber predigen auch dem Volke und den einfachen Leuten das Ideal von Besitzlosigkeit. Wenn sich diese Anschauung als gelebte Form durchsetzen würde, hätten wir es mit einer Verelendung unseres gesamten Gemeinwesens zu tun. Bedenke das!« Der Abt tat alles, um seinen Zögling umzustimmen, den er für einen seiner begabtesten und hoffnungsvollsten Schüler hielt und der eine Bereicherung für ihren Orden gewesen wäre.
Er griff zu seinem letzten Argument: »Seit ich dich kenne, warst du immer still, ernst und verschlossen. Draußen aber musst du mit den Menschen umgehen. Sie werden dich nicht nur danach beurteilen, was du ihnen sagst, sondern auch wie du auftrittst. Getraust du dir das zu?«
»Ich bin hier lange Zeit in der Scholastik unterwiesen worden. In der Questio habe ich gelernt, klare Fragen zu stellen und in der Respondens, den Kern der Frage zu erfassen und eine treffende, logische Antwort zu geben. Darüber hinaus wird mich der Heilige Geist schon erleuchten, wenn die Zeit dazu reif ist!«
Der Abt gab sich geschlagen. »Es gibt viele Wege, Gott, seiner Kirche und den Menschen zu dienen. Ich an deiner Stelle würde mir ein paar Klöster anschauen und danach entscheiden. Ich könnte mir vorstellen, dass der Bettelorden der Dominikaner am ehesten deinen Idealen entspricht, da er im Gegensatz zu den eher ungebildeten Franziskanern auch Gelehrsamkeit voraussetzt. Was soll man von einem Ordensgründer wie Franziskus von Assisi schon erwarten, der Schweine als seine Geschwister bezeichnet? Aber eines kann ich dir mit auf den Weg geben: Die vollkommene Gemeinschaft wirst du nirgendwo, auch dort nicht finden. Ich sage dir das, weil ich dich von Kindesbeinen an kenne und von deinen moralischen hohen Ansprüchen an dich selbst weiß!«
Als sich Johannes Nider in Isny verabschiedete und auf die Wanderschaft machte, war er über zwanzig Jahre alt. Viel weiter als über seine Heimatstadt war er
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