Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
begann, als Niders Blick auf einen schwarzen Punkt an der ansonsten makellos weißen Wand fiel. Mit dem vermissten Umhang konnte es zwar nichts zu tun haben, aber der schwarze Klecks wirkte irgendwie störend. Langsam strich er mit der Hand über die Stelle und bekam ein winziges Stück Stoff zu fassen, das sich ein klein wenig herausziehen ließ. Aber nur ein klein wenig – dann war Schluss. Einigen der anderen Mönche gelangen auch nur einige Fingerbreit und auch der Bruder Schmied, der schon mal allein den schweren Amboss durch die Werkstatt wuchtete, kam nicht mehr als auf die Breite einer Hand.
Das Tuch war mit ungeheurer Wucht in dem vielleicht daumendicken Loch verpresst.
»Holt einen Strick«, rief der Schmied, während er sich bekreuzigte, »wir müssen einen Strick herum wickeln und es gemeinsam versuchen!«
Drei ausgewachsene Männer stemmten sich nunmehr gegen das Stück Stoff, das sich nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte kaum merklich nach außen bewegen ließ.
Irgendwann konnten sie das Tuch mit den Händen fassen, zwar ging es nun etwas leichter, aber die Männer hatten das Gefühl, als ob es von einer ungeheuren Macht festgehalten würde. Verbissen zogen und rissen sie abwechselnd weiter und diejenigen, die nicht mit dem Stoff beschäftigt waren, standen stumm betend draußen auf dem Gang. Bruder Egilhard lag noch immer bewusstlos auf seiner Pritsche. In dem Augenblick, in dem der letzte Rest des Umhanges aus der Wand glitt, erwachte er mit einem Schrei aus seiner Ohnmacht.
Alle waren aschfahl und starrten mit wortlosem Entsetzen abwechselnd auf ihren Mitbruder, das Skapulier und das Loch.
»Ich … ich weiß nichts. Ich habe geschlafen und bin jetzt aufgewacht.« Fassungslos sah er sich in der verwüsteten Zelle um und betrachtete nur flüchtig die sich nun ins Bläuliche verfärbenden Flecken an seinen Armen. »Wer hat das gemacht? Wer war hier?«
Niemand antwortete.
Egilhard erhob sich ächzend von seiner Schlafstatt, um das Durcheinander genauer anzusehen. »Ich weiß … ich weiß wirklich nichts!«, beteuerte er, während er über die Beule an seinem Kopf fuhr und dann die zerfetzten Seiten eines Buches in die Hand nahm.
Nider räusperte sich. »Wir glauben dir. Kein normalsterblicher Mensch ist in der Lage, ein so großes Tuch wie ein Skapulier in ein so kleines Loch zu stopfen.«
»In welches Loch?«, fragte Egilhard.
Nider deutete zur Wand und forderte ihn auf, es sich genauer anzusehen.
Der Mönch starrte wortlos auf die kleine Öffnung, schlug ein Kreuzzeichen und taumelte zurück zu seiner Pritsche. Auf seiner Stirn bildeten sich dicke Schweißtropfen und er spürte, wie das Blut aus seinen Adern wich. Gleich würde er noch einmal ohnmächtig werden. »Nein. Nein … das ist unmöglich. Das … das kann nicht sein«, keuchte er tonlos, »aber glaubt mir, ich weiß von nichts!« Er bekreuzigte sich nochmals und ließ dann seinen schweren Körper auf das Bett fallen, wo er reglos liegen blieb.
Nider hatte Bruder Egilhard keinen Augenblick aus den Augen gelassen, argwöhnisch verfolgte er jede seiner Bewegungen und jede Änderung seines Gesichtsausdruckes.
»Nein, er sagt die Wahrheit«, murmelte er dann.
»Ich werde die Zelle aussegnen. Holt mir meine Stola und Weihwasser!«, befahl der Abt.
Es war noch tiefdunkle Nacht, als die Mönche zur morgendlichen Laudes schritten. Ihr Gang war gebeugt und in ihren Gesichtern stand Verwirrung. Auch Nider hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, sondern sich nur schlaflos auf seiner Pritsche herum gewälzt, und fühlte sich wie gerädert.
Was war das nun gewesen? Hatte Satan nur ihren Geist verwirrt, ihnen allen einen Possen vorgespielt und sie an der Nase herumgeführt? Hatten sie sich das mühsame Herausziehen des Skapuliers unter Aufbietung aller Kräfte nur eingebildet? Oder irrte da die Lehrmeinung des Canon episcopi? » … sie bekennen, durch Blendwerk und Vorspiegelungen der Dämonen verführt worden zu sein … denn eine zahllose, durch diese falsche Ansicht getäuschte Mehrheit hält dies für wahr und weicht in dieser Meinung vom rechten Glauben ab ; sie verfällt heidnischen Irrtümern, wenn sie meint, dass es außer dem einen Gott irgendein anderes göttliches Wesen oder eine andere göttliche Macht gibt …«
War sein Glaube und der des ganzen Benediktinerklosters hier so schwach, dass Satan ihnen allen etwas vorgaukeln konnte? Was aber, wenn das heute Nacht doch alles Wirklichkeit gewesen war?
Nider musste sich
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