Hexenjagd in Lerchenbach
da gibt es viel, was
niemand beweisen kann, was aber alle gern glauben: Stirbt irgendwo eine Kuh,
habe ich sie verhext. Als im Winter die Grippe grassierte, soll ich schuld
gewesen sein — zumal ich, wie verdächtig!, verschont blieb. Jeder Hagelschlag,
der Ernte vernichtet, geht auf mein Konto. Na, und dann: Ich bin rothaarig. Ich
halte mir Schlangen und Spinnen in Terrarien.“
Fassungslos hatten Gaby, Karl und
Klößchen zugehört.
Tarzans Gesicht nahm einen harten
Ausdruck an.
Ist ja schlimmer als vermutet, dachte
er. Helga schwebt in Gefahr. Wenn ihr irgend so ein Dorfidiot das Haus überm
Kopf anzündet, hält er das noch für eine gute Tat.
Sie gingen ins Haus. Im gemütlichen
Wohnzimmer war der Tisch gedeckt. Helga hatte für alles gesorgt, was zu einem
opulenten (ausgiebigen) Frühstück gehört. Doch den Freunden war — mit
Ausnahme von Klößchen — der Appetit vergangen.
Nur aus Höflichkeit aßen sie von dem
frischen Brot, das Helga selbst gebacken hatte, vom Honig, selbst gepflückten
Walderdbeeren und geräuchertem Schinken.
Dabei unterhielten sie sich über Helgas
Problem.
„Ich überlege die ganze Zeit, was man
dagegen tun kann“, sagte Tarzan.
„Nichts!“ Helga ließ die Schultern
hängen. „Ich weiche hier nicht. Das wird Jocher schon merken. Vielleicht
verflüchtigt sich sein Haß eines Tages. Und er läßt mich in Frieden.“
„Bis dahin kann es aber noch sehr hart
für sie werden“, sagte Tarzan. „Man sollte zum Angriff übergehen.“
„Du meinst gerichtlich? Da ist nichts
zu machen. Ich würde keinen Zeugen gegen ihn finden. Und was sollte ich
beweisen? Nicht mal seinem mißratenen Sohn Harry verübeln die Leute, was er
angestellt hat, bevor er ins Gefängnis kam. Weshalb nicht? Weil Jocher das
Gerücht ausstreute, ich hätte diesen Widerling verhext. Nur deshalb hätte er
sich an dem kleinen Mädchen vergriffen.“
„Kann denn ein ganzes Dorf so
bescheuert sein?“ fragte Gaby.
„Viele“, sagte Helga. „Das reicht.“
„Hexenglaube gehört doch ins
Mittelalter!“
Bevor Helga antwortete, legte Karl, der
Computer, rasch seine Serviette weg, sah er doch eine Gelegenheit, wieder mal
zu zeigen, welches enorme Wissen in seinem Computer-Gehirn steckte. Schließlich
trug er seinen Spitznamen zu Recht.
„Stimmt nur zum Teil, Gaby“, sagte er. „In
nicht wenigen Köpfen hat sich — wie wir ja erleben — der Hexenglaube bis heute
erhalten. Um es mal zu klären: Im Volksglauben ist die Hexe ein weibliches
Wesen mit magischen Kräften. Der Glaube an das Vorhandensein von Hexen
steigerte sich gegen Ende des Mittelalters zum Hexenwahn. Durch kirchliche und
staatliche Gesetzgebung wurden damals alle bekannten Beschuldigungen in ein
System gebracht. Die Beschuldigungen waren: Pakt mit dem Teufel, Ketzerei,
Zauber zum Schaden der Mitmenschen, Luftfahrt — allerdings nicht mit dem Flugzeug,
sondern auf dem Besen — und die Fähigkeit, sich in Tiere zu verwandeln. Zwei
fanatische Mönche veröffentlichten 1487 ein Kompendium (kurze
Zusammenfassung) des Hexenglaubens, den sogenannten Hexenhammer. Der diente
fortan als Hexenprozeßordnung. Denn jetzt begann die grausame Hexenverfolgung,
die erst im 18. Jahrhundert nachließ. Die Frauen wurden auf dem Scheiterhaufen
verbrannt, nachdem man ihnen zuvor sogenannte ,Geständnisse’ abgerungen hatte.
Abgerungen mit Folter. Sie wurden so gepeinigt, daß sie schließlich alles
gestanden. Das nannte man damals Gerechtigkeit. Ein Jesuitenpater war es, der
schließlich gegen den Hexenwahn vorging. 1631 veröffentlichte Friedrich Spee — so
hieß er — die Cautio criminalis. Damit begann — wie gesagt — die Bekämpfung der
Hexenprozesse. Aber zu Ende waren sie noch lange nicht. Verbrechen, die ihre
Anregung aus diesem Nährboden beziehen, hat es auch in unserem Jahrhundert
gegeben. Denken wir nur an die sogenannte Satansgruppe des Amerikaners Charles
Manson, die 1969 in Kalifornien acht Menschen ermordete. Oder, daß 1973 der
17jährige Michael Cochran auf dem Altar der Satanssekte von Deland in Florida
brutal geopfert wurde. Oder, daß am 1. Juli 1976 in Klingenberg in Franken eine
Studentin sterben mußte. Weil zwei Teufelsaustreiber — sogenannte Exorzisten — versuchten,
ihr den Teufel auszutreiben, von dem sie angeblich besessen war. Bei den
Exorzisten handelte es sich nicht um Schwachsinnige. Auch nicht um Überlebende
aus dem 15. Jahrhundert, sondern um einen Priester und einen Religionslehrer.
Schlimm, was?“
Einen
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