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Hexenkatze - Roman

Hexenkatze - Roman

Titel: Hexenkatze - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ein sicheres Schrankfach.
    Schließlich fand ich mein Gleichgewicht dann doch wieder. Das Handbuch konnte heute Handbuch bleiben, ich hatte mir etwas Ablenkung verdient. Nach ein paar Seiten eines äußerst amüsanten Krimis war ich schon fast wieder die Alte, und als ich nach der ungewöhnlichen Lösung des Falls das Buch zuschlug, ließ ich meine Gedanken schweifen.
    Sie drehten sich noch immer um Männer, was sie nicht oft taten. Es ist ja nicht so, dass ich mir nichts aus ihnen machte, aber weder die straffhäutigen, haarlosen, nach Zitronenöl und Proteindrinks riechenden schönen Männer im Studio reizten mich, noch die graubeigen, anzugfaltigen Familienväter in den nüchternen Büros. Wenn auch der eine oder andere schon mal versucht hatte, mir etwas näher zu kommen. Selbst wenn ich gewollt hätte, bis vor kurzem hatte ich mit Micki auf engstem Raum gelebt, und vor ihr wollte ich mein Liebesleben nicht ausbreiten. Also gab es keines mehr, seit Jerry weggezogen war.
    In manchen einsamen Stunden wie diesen bedauerte ich das. Jerry war so übel nicht. Und, wirklich, ich vermisste seinen dunklen, harten Körper, seine Sinnlichkeit und seine manchmal etwas raue Zärtlichkeit. Bis zu den letzten Tagen hatten wir uns in dieser Hinsicht verstanden. Aber leider findet eine Partnerschaft nicht nur im Bett statt. Und sein Heimweh war größer als seine Liebe zu mir. So groß, dass ermir letztlich sogar Micki gelassen hatte. Vielleicht aber ist ihm die Trennung auch deswegen leichtgefallen, weil wir uns so sehr auseinander entwickelt hatten. Ich wurde wegen seiner Gleichgültigkeit mir und unserem Kind gegenüber immer selbständiger und überlegener, er hingegen schien zu schrumpfen. Diesen Mangel an Selbstachtung betäubte er dann mit Alkohol. Es führte eins zum anderen, nun war er seit vier, bald fünf Jahren fort. In den beiden ersten Jahren hatten wir ihn in Amerika besucht. Es war kein reines Vergnügen, und es flossen reichlich Tränen. Darum hatten wir seit zwei Jahren den Kontakt auf gelegentliche Anrufe beschränkt. Hin und wieder fand ich eine ansehnliche Summe Geld auf meinem Konto, mit dem Standardspruch von ihm: »For general issue«.
    Vielleicht gab es irgendwann noch einmal eine Chance für uns, vielleicht auch nicht. Noch hänge ich mit Gedanken wie bittere Schokolade an ihm, an solchen Abenden wie heute. Aber es gibt Tage, Wochen und gar Monate, da war Jerry vollständig aus meinen Erinnerungen gelöscht. Mag sein, dass es nur das »Prinzip Jerry« war, nach dem ich mich sehnte. Die Idealform, die er für mich nicht mehr sein kann. Und ich für ihn auch nicht mehr.
    Meine melancholischen Gedanken wurden unterbrochen, als sich der Schlüssel in der Haustür drehte und Micki hereinkam. Sie machte Licht im Flur an, und mir wurde bewusst, dass ich schon seit einer ganzen Weile im Dunkeln gesessen hatte.
    »Nanu, Mam, was machst du denn hier?«
    Micki kam zu mir und kniete sich neben meinen Sessel. Ich strich ihr durch die blonden Wusellöckchen, und sie sah prüfend zu mir auf.
    »Du siehst traurig aus, Mam. Hast du … hast du an Daddy gedacht?«
    Ich musste lächeln. »Meine hellsichtige Tochter. Ja, habe ich.«
    »Möchtest du … sollen wir wieder mal zu ihm fahren?«
    »Würdest du gerne?«
    Micki überlegte mit schräg geneigtem Kopf.
    »Nein. Ich glaube nicht. Weißt du, anfangs hat es mir wehgetan, dass er nicht mehr da war. Aber jetzt ist es mir egal. Oder besser, es ist irgendwie diese Spannung weg. Und ich möchte nicht, dass das noch mal anfängt.«
    »Mir geht das genauso, Mausebärchen. So, und jetzt ab in die Kiste. Ich wusste gar nicht, dass ich dir erlaubt hatte, bis halb zwölf fortzubleiben.«
    »Oh, aber Janines Mutter hat mich heimgefahren.«
    »Schon gut. Schlaf schön!«
    »Du auch, Mam.«

 
    Am Donnerstag machten sich Micki und ich wieder gemeinsam auf den Weg in das Studio, um die zweite Runde mit den Kämpferinnen zu absolvieren.
    »Was machst du heute mit uns? Wieder Ausdauerboxen bis zum Abwinken?«
    »Nur wenn die Spannung wieder das Maß der Unerträglichkeit erreicht. Viel lieber würde ich die Grundlagen von Befreiungstaktiken in Angriff nehmen.«
    »Au ja, Kevin hat mir schon ein paar Sachen gezeigt. Darf ich mit Sieglind üben?«
    »Micki, man soll sich nie von niederen Beweggründen leiten lassen.«
    »Echt nicht? So ein hübscher Daumenhebel würde bei der Dame aber vielleicht ein bisschen den Schaum bremsen.«
    »Micki!«
    »Schon gut.«
    Jugendlicher Überschwang.

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