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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Ton von sich, als habe sie sich an ihrem eigenen Blut verschluckt, seufzte, verdrehte die Augen und starb.
    »Morgenrot – Elsa tot«, wiederholte Edi zufrieden und glücklich.
    Und so leise, wie er gekommen war, verschwand er wieder.

84
    Teresa hatte jeden Winkel des Hauses durchsucht, hatte in der Speisekammer, im Magazin, in Enzos Werkstatt, ja sogar auf dem Rücksitz seines Jeeps nach Edi gesehen und war in der Dunkelheit trotz Sturm und peitschendem Regen auch bis zum kleinen Teich gegangen, den Enzo bis heute nicht zugeschüttet hatte. »Was einmal passiert ist, wiederholt sich nicht«, hatte er immer behauptet und glaubte fest daran.
    Dennoch starrte Teresa schaudernd ins schwarze Wasser, darauf gefasst, jederzeit einen bleichen, schwammigen Körper auftauchen zu sehen, obwohl dies absurd war: Der Teich war viel zu flach.
    Aber Edi blieb verschwunden.
    »Ich bin ein Junge aus Umbrien«, sagte Enzo leise, als sie verängstigt und verzweifelt ins Schlafzimmer zurückkam, »und bei uns wissen die Kinder, was sie tun. Sie ziehen durch die Berge und schlafen in Höhlen im Fels. Sie schlachten kleine Lämmer und trinken ihr Blut. Und wenn es Frühling wird, sind sie wieder da. Non ti preoccupare.«
    Teresa ging Enzos Gerede ungeheuer auf die Nerven. »Aber bei diesem Wetter! Was will er denn da draußen bei Gewitter, Regen und Sturm?«
    »Ich bin ein Junge aus Umbrien. Auf jede Nacht folgt ein
Tag und Sonne nach Regen. Wenn sich die Wolken verziehen, kommt er wieder. Wenn der Morgen graut, fliegen die Sorgen davon.«
    Mein Gott, was redet er für einen Unsinn, dachte Teresa. Er war wirklich verrückt geworden und ihr wahrlich keine Hilfe mehr.
    Und wieder saß sie auf der Bettkante und rollte ihre Strümpfe am Bein hinunter.
    »Ich bin ein Junge aus Umbrien«, murmelte Enzo. »Sorge dich nicht, dass das Schaf weglaufen könnte – aber folge ihm, wenn es verschwunden ist.«
    »Gute Nacht, Enzo«, sagte Teresa und schlüpfte unter die Decke.
    Madonna, betete sie, lass Edi nichts passiert sein und erleuchte meinen Enzo noch einmal mit einem kleinen Funken Verstand.
    Es dauerte keine zehn Sekunden, da war sie fest eingeschlafen.
    Enzo hörte bis zum Morgengrauen auf die leisen Pfiffe, die Teresa beim Ausatmen von sich gab, dann stand er auf und schlurfte aus dem Schlafzimmer, indem er vorsichtig die Füße über den Steinfußboden schob.
    In der Küchenschublade hatte er noch extrem starke Schmerztabletten für den Notfall, die ihm zwar Übelkeit verursachten, aber für ein paar Stunden halfen, sodass er sich einigermaßen normal bewegen konnte. Die Dottoressa hatte ihn gewarnt. Lediglich einmal im Monat konnte er seiner Leber diese Tortur zumuten.
    Enzo schluckte drei Stück, die Höchstdosis, trank zwei Gläser Wasser und wartete zwanzig Minuten.
    Er konnte jetzt bereits schneller gehen und schaffte
die Treppe in den oberen Stock langsam, aber fast schmerzfrei.
    Edi lag in seinem Bett und schlief. Auf der Brust seines gelben Schlafanzuges prangte ein bräunliches Kaninchen, in der Pfote eine orangefarbene Möhre. Edis dicke Wangen zitterten im Schlaf, und es schien Enzo, als ob er lächelte.
    Enzo sah auf die Uhr. Es war jetzt kurz vor sechs. Er hatte ungefähr zwölf Stunden, bis die Schmerzen wieder einsetzten, einen ganzen Tag, um all das zu erledigen, was ihm auf der Seele brannte. Er zog sich warm an, nahm sich sogar Zeit, die schweren Winterstiefel zu verschnüren, verzichtete aber auf den Kaffee.
    Aus dem Magazin holte er den Kanister mit dem Benzin, das eigentlich für den Rasenmäher gedacht war.
    Wenige Minuten später startete er den Jeep vor dem Haus.
    Der Wind hatte deutlich nachgelassen, und Enzo hoffte, dass ihm auf der Fahrt zum Casa della Strega keine umgeknickten Baumstämme im Weg lagen.

85
    Das Telefon stand auf Gabriellas Nachttisch. Bereits beim zweiten Klingeln hatte sie die Hand auf der Gabel und nahm den Hörer ab. Neri fragte sich manchmal, ob sie überhaupt jemals fest schlief und von Träumen gefangen war, die sie nicht mehr losließen.
    So war es auch an jenem verregneten Sonntagmorgen um viertel vor fünf. Das Telefonklingeln zerriss die Stille des Hauses, und Gabriella war schon am Apparat, als Neri noch überlegte, wer er war, wo er sich befand und welcher Tag heute war.
    Sie schüttelte sich die Haare aus dem Gesicht und biss sich auf die Lippen. »Wach auf, Neri«, flüsterte sie. »Es ist dein Kollege Alfonso, aus Ambra.«
    Neri stöhnte und schob sich im Bett hoch, sodass er

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