Hexenkind
fast zum Sitzen kam. »Donato am Apparat«, sagte er mit fester Stimme. »Was gibt’s, Alfonso?«
Gabriella hatte sich die Bettdecke über die nackten Schultern gezogen und hörte mit großen Augen gespannt zu. Sie sah, dass Neri stoßweise zu atmen begann und sich die Haare aus der Stirn strich, als wären sie schweißnass. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann sagte er: »Ich komme. Ich komme, so schnell ich kann. Bitte warten Sie dort auf mich.«
Neri sprang aus dem Bett.
»Was ist los?« Gabriella stand ebenfalls auf.
»Das Casa della Strega ist abgebrannt. Und im Haus hat man eine verkohlte Leiche gefunden.«
Neri schlüpfte in seine Hose. »Bitte ruf Tommaso an. Er soll sofort zu dem Haus kommen. Und ansonsten sage niemandem ein Wort. Hörst du, Gabriella? Ich will nicht, dass es jetzt schon irgendjemand im Dorf erfährt.«
»Mach dir mal keine Hoffnungen. Wenn der Carabiniere aus Ambra angerufen hat, ist es im Dorf längst rum!«
»Trotzdem.«
Sie lief ihrem Mann hinterher und folgte ihm ins Bad.
»Der oder die Tote ist ermordet worden?«
»Ja. Der Mörder hat die Kehle durchgeschnitten. So viel konnte man an der verkohlten Leiche deutlich erkennen. Nachdem das Dach eingestürzt ist, hat anscheinend der strömende Regen verhindert, dass die Leiche völlig verbrannt ist.«
»Ist dein Romano eigentlich noch im Gefängnis?«
»Ja.« Enzo sah sich selbst im Spiegel und machte ein grimmiges Gesicht.
»Dann kann er es wohl nicht gewesen sein.«
»Wahrscheinlich nicht, nein«, brummte Neri und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht.
Im Flur half sie ihm in den Mantel.
»Dieser Fall ist deine große Chance, Neri, vergiss das nicht! Wenn du diesen Wahnsinnigen findest, der die beiden Toten auf dem Gewissen hat, dann bist du ein gemachter Mann. Dann können wir zurück nach Rom.«
Neri flippte aus. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
»Ich weiß, ich weiß, ich weiß! Das hast du mir schon tausendmal gesagt, aber ich hab jetzt wahrlich anderes im Kopf.«
Gabriella ließ der heftige Ton ihres Mannes völlig kalt. »Eins noch, Neri: So einen Fall kriegst du hier in dieser Gegend nie wieder. Zwei Leichen – porcamiseria, das ist sensationell! Aber wenn du den Mörder nicht findest, werden wir hier in diesem Käsenest versauern bis ans Ende unserer Tage.«
Neri antwortete nicht. Er nahm seinen Hut, verließ fluchtartig die Wohnung und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
86
Bis auf einen rot entzündeten Eiterpickel auf seiner Stirn war Tommasos Gesichtsfarbe aschgrau, beinah grünlich. Er stand zwischen den verkohlten Trümmern des Hauses, starrte auf die Leiche und hatte einen fürchterlichen Schluckauf, der die Arbeit der Spurensicherung wie ein Metronom rhythmisch begleitete.
Niemand sprach, und bis auf Tommasos Hicksen war es gespenstisch still, obwohl mehrere Menschen konzentriert arbeiteten.
»Jetzt fangen wir wieder ganz von vorne an«, meinte Neri wenig später im Auto zu Tommaso. »Wir müssen noch mal sorgfältig überlegen.« Sie waren auf dem Weg nach Montefiera.
»Vielleicht war es doch ein Irrer«, erwiderte Tommaso vorsichtig. Er spürte, wie nervös sein Chef war.
»Nein. Kann ich mir nicht vorstellen.«
Neri raste nach Montefiera, schnitt die Kurven und kam an der Abzweigung nach Castelnuovo fast ins Schleudern, als ihm ein Trecker entgegenkam. Sein Fahrstil dokumentierte eindrucksvoll, wie es in seinem Innern aussah.
Teresa sah verweint aus, als sie den beiden Polizisten die Tür öffnete. »Natürlich können Sie die Küche der Trattoria
sehen«, sagte sie leise und nahm die Schlüssel vom Schlüsselbrett im Flur.
Neri sah sofort als die Neonröhre aufflackerte, dass im Messerblock wieder ein Messer fehlte.
»Das kann nicht wahr sein«, sagte er zu Tommaso, »das kann einfach nicht wahr sein.« Sein Atem ging stoßweise.
»Können Sie uns erklären, wo das fehlende Messer ist?«, fragte er Teresa.
Teresa antwortete nicht. Sie starrte Neri vollkommen entsetzt an und schüttelte nur den Kopf.
Bei Tommaso setzte erneut ein heftiger Schluckauf ein.
Auf dem Rückweg nach Montevarchi meinte Neri äußerst genervt zu Tommaso: »Du musst dich mit deiner Schluckerei mal untersuchen lassen. Das ist ja auf die Dauer unerträglich.«
Tommaso nickte ergeben und hickste weiter.
Um vierzehn Uhr fünfundvierzig erreichte Neri im Präsidium der Anruf der Pathologie. Mit neunundneunzigprozentiger Gewissheit sei die Tote Elsa Simonetti. Das hätten zahntechnische
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