Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
auch die winzigen Fenster vergrößern lassen könne. Das verschlug Lucia die Sprache, offenbar hatte er noch immer nicht erkannt, wie es um den Betrieb stand.
"Was hast du?", fragte er sie arglos, "warum reißt du so entsetzt die Augen auf?"
Erst jetzt war sie fähig, ihm eine Antwort zu erteilen, die allerdings recht harsch ausfiel: "Von welchem Geld denn? Du weißt doch, wie runtergewirtschaftet das Werk war. Glaubst du denn, es hätte sich schon erholt davon? - Oh nein, mein Lieber, nein, darüber vergehen noch Monde!"
Sein Blick wurde ungläubig, fast verärgert, weshalb sie ihren Ton mäßigte, als sie ihm darlegte: "Ich habe mein Haus in der Passerstraße verkaufen müssen, um von diesem Geld die Lohnkosten der Werksangehörigen für die kommenden zwei Monde bezahlen zu können. So sieht unsere Finanzlage aus."
"Nein - aber wieso denn? Doch net wegen der überschüssigen Farben, doch deshalb net."
Wieder stockte Lucia der Atem, und es dauerte etwas, ehe sie ihm bemüht ruhig vortragen konnte: "Vergangenen Herbst haben wir wegen der Überproduktion und den damit verbundenen immensen Einkaufskosten für die Rohmaterialien vor dem Ruin gestanden. Hätte ich dann nicht so drastisch durchgegriffen, gebe es heute das Werk samt seiner eisernen Geldreserve nicht mehr. - Das glaubst du nicht? Dann frage Herrn von Lasbeck, er wird es dir bestätigen."
Nun war er es, dem die Stimme versagte, sein Gesicht war starr, und Lucia hoffte, dass er endlich das Ausmaß dieser Misere überblicken konnte. Um dem Nachdruck zu verleihen, nannte sie ihm einige Auswirkungen ihrer Lage: "Deshalb hat Mutter an Ostern und für Pfingsten keine Gäste eingeladen und hat die sonstigen Kosten für unser Anwesen vorübergehend sogar von ihren Ersparnissen bestritten."
"Stimmt, hat sie mir gesagt", unterbrach er Lucia, ehe sie fortfuhr:
"Eine Tür kann ich mir vor meine Wohnräume erst einmauern lassen, wenn ich demnächst mein zweites Mietshaus verkauft habe", wieder unterbrach er sie: " Du willst noch 'n zweites verkaufen?"
"Nicht will, sondern muss, Vater. Denn ich lasse aus Werbegründen meine drei restlichen Häuser in den Bellwillfarben anstreichen, was mich immerhin einiges kostet. Du siehst, das Werk verschlingt bereits Mutters und mein Privatvermögen. Und du willst auf Firmenkosten unser früheres Wohnhaus renovieren lassen."
"Nein", wehrte er sofort ab, "wenn das so ist, natürlich auf meine Kosten. Das hab ich alles net gewusst, Lucia, das musst du mir glauben, das hab ich net gewusst. Da hab ich ja noch dickere Fehler begangen, als ich bisher geglaubt hab. - Kann . , ich trau mich kaum zu fragen, kann sich der Betrieb denn wieder erholen?"
"Nur wenn wir alle vernünftig vorgehen. Für dich bedeutet das, dich fortan strikt an Herrn Adams Anweisungen zu halten. Er und ich haben einen genauen Lagerbestand für jeden einzelnen Artikel errechnet, der nie über- oder unterschritten werden darf. Deshalb, wenn Herr Adam auf seinem Produktionsauftrag von dir eineinhalb Kessel Lack in einer bestimmten Farbe anfordert, dann müssen das auch genau eineinhalb Kessel werden, nicht mehr und nicht weniger. Nur durch solch exaktes Vorgehen kann sich der Betrieb wieder erholen."
Meister Rodder seufzte schuldbewusst, fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht und beteuerte Lucia schließlich: "An mir soll's net liegen, um Gottes Willen, nein. Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde mich immer exakt nach Herrn Adams Aufträgen richten."
Lucia atmete auf, weshalb er mit treuem Blick wiederholte: "Da kannst du dich verlassen auf mich, weil ich das jetzt eingesehen hab."
Nun musste sie innerlich über ihn lächeln - wieder ganz der Tolpatschbär. Jedenfalls war ihr nun bedeutend leichter, da er seine Versprechen stets hielt. Um aber auch ihn wieder aufzulockern, kam Lucia auf seinen Bruder Andreas zurück und betonte, wie sehr es sie freuen würde, wenn er ihren Vorschlag annehme.
Doch sie konnte jetzt vorbringen, was sie wollte, er hatte kein Ohr mehr für dieses Thema, ihn beschäftigte einzig die wahre Finanzlage des Werkes. Es dauerte auch nicht lange, bis er sich erhob, wobei er erklärte, er müsse ein wenig alleine sein und dann mit schwerem Schritt den Garten verließ.
Die nächsten Tage sah man Meister Rodder nur mit niedergeschmetterter Miene, im Haus wie auch im Werk. Wobei er Herrn von Lasbeck kaum in die Augen blicken konnte, so schämte er sich für sein früheres Fehlverhalten im Werk, das er in seiner vollen Konsequenz erst jetzt
Weitere Kostenlose Bücher