Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
ebenso und hinterher dann stets diese Trinkgelage der Waidmänner! Das habe ich in unserem Gutshaus oft genug ertragen müssen."
"Mutter und ich früher in diesem Haus ebenfalls."
Sie unterhielten sich weiterhin über die hiesige Umgebung, wobei sie es begrüßten, dass den Meranern durch Lucias Entschluss nun auch der Bellwillforst auf Dauer jederzeit zugänglich wird, und sie berieten, an welchen Stellen darin neue Spazierwege eingerichtet und Sitzbänke aufgestellt werden sollten.
Madame Rodder beteiligte sich nur mit wenigen Bemerkungen an dem Gespräch. In dieser Verfassung hatte Lucia sie bei ihren letzten Besuchen nie erlebt, weshalb sie einen Moment befürchtete, ihre Mutter habe wieder zum Opium gegriffen, doch ihre koordinierten Bewegungen sprachen dagegen. Dennoch war Lucia irritiert, erst diese Bedrücktheit ihrer Mutter, dann hatte sie zwei Tage ihre Wohnung nicht verlassen und seit gestern ihr merkwürdig abgetretener Ausdruck.
Nach dem Abendbrot fragte Lucia ihren Vater, ob er sich die Veränderung ihrer Mutter erklären könne. Doch er sah sich mit bekümmertem Blick vor dem gleichen Rätsel.
Noch drei Tage und das Herrschaftshaus leuchtete ringsum in Lichtgelb mit weißen Säulen sowie Fensterrahmen, und das Gäste- wie auch das Gesindehaus schmückte der gleichen Anstrich.
Darauf begannen die sechs Tüncher, die Türen der Werksgebäude zu lackieren. Lucia sah gerade dem am Lagertor beschäftigten Anstreicher zu, als Meister Woiz zu ihr trat und sie ansprach:
"Eine wohlige Farbe, dieses bräunliche Rot", sein Blick flog kurz auf Lucias Haar, "es wirkt so natürlich wie das heute so beliebte afrikanische Mahagoni. Wollt Ihr nicht auch die Holzwände der Kutschenhalle in diesem Ton beizen lassen?"
"Das ist eine Überlegung wert."
In dem Moment trat die Hausmaid Gerda zu Lucia, um ihr auszurichten, sie möge ins Herrschaftshaus kommen, eine Botschaft sei eingetroffen. Lucia nickte und schickte sie mit einer Handbewegung wieder zurück. Erst als Gerda zwischen den Baumstämmen und Büschen nicht mehr zu sehen war, begab auch sie sich zum Herrenhaus.
Wie stets wählte sie den kürzeren Weg dorthin, der durch den Hintergarten direkt zu ihrem Wohnreich führte. Dort erwartete sie mit tiefernstem Gesicht ihr Vater. Nichts Gutes ahnend, schaute sie zu ihm hoch, worauf er hervorbrachte: "Lucia, du musst jetzt gefasst sein."
"Mutter - um Gottes Willen . ."
"Nein", beruhigte er sie, "es geht um jemand anderen. Wir haben eine Nachricht erhalten. Aus Belleville." Nach einer kurzen Pause ergänzte er den Satz: "Sie betrifft Alphonse."
"Alphonse", wiederholte sie, "was ist mit ihm, ist er krank? Oder - nein! "
Statt einer Antwort, blickte er sie mitfühlend mit seinen schwarzen Augen an, und da sie nicht begreifen wollte, fragte sie abermals: "Er ist krank, ja?"
Meister Rodder bedachte sie weiterhin mit diesem Blick, der alles ausdrückte. Dann nahm er sie am Arm: "Komm erst mal mit, mein Mädel", und führte sie in ihre Gute Stube. Dort stand auf dem Elfenbeintischchen ein dampfender Teebecher für Lucia bereit. "Ein Beruhigungstee", sagte er ihr, ließ sich neben ihr in den lachsrosa Damensessel nieder und bat sie, einen Schluck zu nehmen.
Lucia nippte mehrmals an dem Tee, und nachdem sie den Becher abgestellt hatte, teilte Meister Rodder ihr mit sanfter Stimme mit: "Ein Eilkurier aus Belleville hat uns die Trauernachricht überbracht. Alphonse soll seit mehreren Monden krank gewesen sein, Lucia, und ist schließlich am fünfzehnten Lenzingtag für immer von uns gegangen. Gott hab ihn selig."
Also am letzten Donnerstag, ging es Lucia durch ihren benommenen Schädel. . . Aber er war doch noch so jung, erst sechsunddreißig - und gerade erst Vater geworden.
"Morgen wird er beerdigt."
" . . M hm."
"Auf sein Wunsch findet keine Trauerfeier statt."
" . . Verstehe ich - stille Trauung, stille Taufe . . und jetzt . . . stille Trauer."
"Ja."
Lucia verschluckte ihre Tränen und atmete dann mehrmals tief durch. Nachdem ihr Hals wieder leidlich frei war, wollte sie erfahren: "Seine Nieren?"
"Ja, die Nieren, sagt deine Mutter, und sie meint, es wär ein Segen für ihn, von diesem Leiden erlöst zu sein. Vielleicht hilft dir ja dieser Gedanke."
Er half ihr. "Eine Erlösung", wiederholte sie flüsternd und gleichzeitig ging ihr auf - ihre Maman hatte um Alphonses Hinscheiden gewusst, er hatte es ihr vor einiger Zeit schriftlich mitgeteilt. Deshalb ihre rätselhafte Veränderung in den letzten Wochen. Erst hatte sie mit ihm
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