Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
aller Zufriedenheit der Hausverkauf besiegelt war, flanierten Lucia und Vera über den Uferweg der Passer auf und ab. Dabei erfreuten sie sich an dem so reizvoll zwischen den Bergen liegenden Meran mit seinen vielen Arkaden artigen Kornspeichern die, wie sie meinten, mit einem helleren Anstrich der Stadt ein noch freundlicheres Gesicht verleihen würden. Zur abgemachten Stunde begrüßten sie schließlich vor dem Barbiersalon Justus, der vor Aufregung über seinen bevorstehenden Haarschnitt kaum die Lippen auseinander brachte.
Dann saßen die Drei im Salon auf den ihnen zugewiesenen Hockern, und als der hinter Justus stehende Barbier zu Kamm und Schere griff, stammelte Justus: "Jetzt geht's um alles!"
Lucia diente als Modell, wie nun die beiden Barbiere Vera und Justus ihre Haare stutzten.
Nach dieser Prozedur betrachteten sich die beiden jetzt Kurzhaarigen mit lachenden Gesichtern von allen Seiten in mehreren ihnen dargebotenen Spiegeln. Und beim Verlassen des Salons fuhr sich Justus von hinten nach vorne über den Kopf: "Mei, ist dieser Schnitt bissig (= fesch). Und Eurer auch, Frau von Zeno, ich sag's Euch, Ihr seht flitzeflott damit aus."
"Ist wahr? Und was meinst du dazu, Lucia?"
"Er hat recht, die Frisur steht dir hervorragend."
"Wie leicht man jetzt den Kopf bewegen kann."
"Stimmt und man fühlt richtig Luft im Nacken."
"Schön, dass ihr euch gefallt", lächelte Lucia. "Wie damals ich mit meinem plötzlich so kurzem Haar den Barbiersalon verlassen habe, wollte ich mir am liebsten mit beiden Händen den Kopf zuhalten, so habe ich mich vor den Leuten auf der Straße geschämt. Aber ich gehörte damals ja auch zu den ersten hier in Tirol mit dieser Kurzfrisur."
Auf ihrem Weg zum Bellwillhügel griff sich Justus immer wieder mit den Fingern in seine kurzen dunkelbraunen Locken, und Lucia prophezeite ihm: "Der Schnitt wird deine Freunde krallen und bestimmt auch die hübsche Marthi."
Darauf stieß Vera ihr vorwurfsvoll gegen den Arm und Justus verstummte mit einem Mal. Marthi war die Tochter ihres Stallmeisters, sie war dreizehn wie Justus, und die beiden waren ineinander verliebt. Das missfiel Marthis Vater, weshalb er ihr den Umgang mit Justus, dem Halbadeligen, der sie mit Sicherheit nie heiraten werde, untersagt hatte. Wie Lucia jedoch festgestellt hatte, hielten sich die beiden Verliebten nicht daran, denn sie hatte sie vor wenigen Tagen miteinander schmusend auf einer Bank in ihrem Park überrascht.
"Schon gut, Großer", fuhr jetzt Lucia ihm von hinten nach vorne durch seinen Schopf, "Hauptsache doch, du siehst jetzt noch bissiger aus."
Das wollte er nochmal hören: "Tu ich das?"
"Und ob. Außerdem kann man dich jetzt für mindestens vierzehn halten."
"Oh, ho, ho, ho!", freute er sich über diese Tatsache.
Zu Hause empfing er dann von seiner Mutter weitere Komplimente: "Mon Cher, wie siehst du schick aus mit diesem Schnitt, wie ein junger Knappe."
"Ehrlich?"
"Oui, flott wie ein Knappe. Und du, Vera, très joli, bringt dein nettes, rundliches Gesicht viel besser zur Geltung. Fühlst du dich jetzt nicht noch freier?"
"Ja, als hätte ich damit meine Vergangenheit endgültig abgeschnitten."
Justus hatte unverständig zugehört und fragte nun, ob er noch ein wenig nach draußen gehen dürfe.
"Naturellement", erlaubte ihm seine Mutter, worauf er im Laufschritt das Haus verließ, und Lucia lachte:
"Er muss sich doch seinen Freunden zeigen."
Dann bat Lucia Madame de Lousin, ihnen eine Karaffe leichten Weißwein im Aufenthaltsraum servieren zu lassen und fragte ihre Mutter, ob es ihr gut genug gehe, um sich ein wenig zu ihnen zu setzen.
"Ah oui", stimmte sie zu, "mein Kopf ist bedeutend leichter, ich komme gerne mit."
In der behaglichsten Ecke des Raumes stießen sie wenig später auf den Hausverkauf an. Dann erklärte Lucia ihrer Mutter, sie habe beschlossen, statt des Forstes noch ein weiteres Haus zu verkaufen und wenn es erforderlich werde, noch ein drittes. Denn nach ihrer Beobachtung habe sich der Wald bereits so gut von den früheren Jagden erholt, dass das Wild darin seine Scheu vor den Menschen verliere. "Bald wird er so friedvoll sein wie der Wald hinter dem Gasthof Brügel", ergänzte sie, "und damit wäre unsere Stadt dann im Norden wie im Süden von Wäldern umsäumt, in denen die Natur wieder Natur sein darf. Ist das nicht erstrebenswert?"
Madame Rodder nickte nur lächelnd, Vera indes begeisterte sich: "Das ist wirklich ein erstrebenswertes Vorhaben, Lucia. Mich entsetzen diese rücksichtslosen Jagden
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