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Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)

Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roswitha Hedrun
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der diese Dienstleistungen schon recht gut beherrschte, den neunzehnjährigen Rolando. Er war, im Gegensatz zu Nicola, ein zurückhaltender Jüngling und so schwarzhaarig und braunhäutig wie Herzog Ludovico, 'der Mohr'. Am Zeichentisch bewies er ein Können, das weder Carlo, geschweige denn Nicola erreicht hatte, weshalb es von Leonardo und den Künstlern gebührend bewundert wurde. Lucia kam vom ersten Tag an gut mit ihm zurecht, seine feine Art lag ihr.
Doch es gab auch eine bedauerliche Veränderung in der Bottega, Leonardos großes, von allen Besuchern stets am meisten bewundertes Gemälde, die Anbetung der drei heiligen Könige, hing nicht mehr in seiner Malecke. Amerigo Benci hatte es, unvollendet, wie es noch immer war, zu sich zurück nach Florenz transportieren lassen, und jetzt gähnte an dieser Stelle die leere weiße Wand. Dafür hing in Leonardos Privatatelier in weißem Rahmen ein neues Bild an der Wand, Lucias Geschenk an ihn, das Goldrosenbild. Auch wenn das längst keine Entschädigung für Leonardos abtransportiertes Gemälde darstellte, freute Lucia diese Geste, und sie hoffte, ihm gefiel das Bild ein wenig. Denn er äußerte sich nicht dazu, ebenso wenig wie alle anderen, denen er ihr gegenüber jeden Kommentar zu diesem Bild untersagt hatte.
Zu Lucias Schreck sollte sie ihre Malübungen abermals umstellen. Sie hatte Leonardo vier ihrer in Meran angefertigten Bilder zur Begutachtung mitgebracht, und die reihte er jetzt im Labor nebeneinander auf dem Boden vor dem Wandregal auf, mit der Erklärung: "Damit hast du mich überrascht, hast einen Vorgriff begangen, denn diese Bilder weisen allesamt konkrete Elemente auf, wie sich das zum ersten Mal bereits bei dem Feuervogel gezeigt hat."
"Und was bedeutet das?"
"Fortgeschrittenere Studien, Cara mia. Fortan wirst du bewusst Abstraktes mit Konkretem verbinden. Beispielsweise, das Erwachen des Waldes, Übermut eines Bambino oder kraftvolle Eiche. Verstehst du?"
"Si", antwortete sie mutlos, worauf er fortfuhr:
"Zunächst denkst du dir solch einen Begriff aus, trägst ihn dann in dein Unterbewusstsein und wartest, bis er in deinem Inneren lebendig wird, bis er dich voll und ganz erfüllt, und dann überträgst du diese Empfindung auf den Malkarton. Und benutze fortan nur große Kartons, etwa deine Körpergröße, die Breite kannst du selbst bestimmen. Das großflächige Malen liegt dir mehr.
Während dieses Malens wirst du nicht mehr so weit entrückt sein wie bei deinen bisherigen Studien, du wirst zeitweilig deine Malerei klar vor dir sehen. Woran du dich zunächst gewöhnen musst, denn dabei besteht die Gefahr, dass dein Tagesbewusstsein deinen von innen kommenden Strömungen den Weg versperrt, und das darfst du nicht zulassen. Noch etwas, in gleicher Weise bearbeitest du jetzt auch deine begonnene Marmorbüste im Bildhaueratelier."
Sie nickte stumm, weshalb er ihr zuredete: "Kopf hoch, Lucia, wenn dir diese Anforderung momentan auch unerfüllbar scheint, bald wirst du sie mit Freuden durchführen, wie bisher alle Studien." Da sie darauf noch immer nicht reagieren konnte, riet er ihr: "Am besten, du gehst diese Übung zunächst der Reihenfolge nach gedanklich durch, in aller Ruhe, anschließend gibst du dich in unserem kleinen Hain einer Meditation hin, und wenn du danach zurück kehrst, kannst du entscheiden, ob du schon heute den ersten Versuch an der Staffelei oder draußen an deinem Marmorkopf wagen willst oder erst morgen, si?"
Diesem Vorschlag stimmte sie zu, worauf er sie alleine ließ.
Und kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, wollte sie hadern, dass weder Carlo noch Nicola jemals solch schwere Übungen aufbekommen hätten. Doch ehe sie diesen Vorwurf voll ausgesponnen hatte, verscheuchte sie ihn schon wieder und rief sich in Erinnerung, dass sie sich glücklich schätzen könne, von dem derzeit größten Maestro del'Arte, einem Genie, unterrichtet zu werden. Nach dieser Einsicht begann sie bereitwillig, sich mit ihren neuen Übungen anzufreunden.
Mit Erfolg. Es gelang ihr erstaunlich rasch, beim Malen den weisen Kräften des Unterbewusstseins den Vorrang einzuräumen.
Nicht nur beim Malen, auch bei ihrer Bildhauerei. Zwei- bis dreimal wöchentlich arbeitete sie im Freilichtatelier an einer bereits letztes Jahr begonnenen Skulptur, sie gestaltete den Kopf ihrer früheren Kunstlehrerin Natalia, wie sie sich diese nette Nonne ohne Habit und als heute Enddreißigerin vorstellte. Doch erst durch ihre jetzige Vorgehensweise gelang es ihr,

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