Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Eindruck, ihr Herr Vater habe seinen Spontanwitz zurück gefunden, und Justus werde mit seinen jetzt vierzehn Jahren ein Mann, er befinde sich mit allen Ober- und Untertönen im Stimmbruch.
Auf dieser Basis konnte Lucia guten Gewissens ihre Ausbildung fortsetzen.
Eine Person allerdings trübte seit kurzem ihre wie auch Leonardos Unbekümmertheit - Angelina. Unmittelbar nach Lucias Rückkehr aus Meran hatte Leonardo ihr Alphonses Todesnachricht überbracht, worauf sie Leonardo endlich nicht mehr mit Fragen nach Alphonse und dessen Familie belästigt hatte. Am Erntedanktag indes hatte sie dann Lucia abends mit Carlo und seiner neuen Angebeteten, der Ludmilla, aus einem Weinlokal kommen sehen und Lucia verblüfft angestarrt. Darauf hatte Angelina Leonardo bei einer Begegnung im Sforzapalast neuerlich auf die Familie Belleville angesprochen. Leonardos scherzhafte Äußerung vor Ostern, auch Lukas könne ein Opfer dieser Donna werden, drohte, sich zu bewahrheiten.
Was Lucia jedoch kaum beeinträchtigte, da ihre Malstudien sie nach wie vor vollends gefangen nahmen. Seit nunmehr fünf Monden arbeitete sie abwechselnd an zwei für sie ungewohnt großen Gemälden, eins mit Tempera- und eins mit Ölfarbe. Sie hatte die Themen 'Temperament junger Rösser' und 'Vorbeihuschen eines Fauns' gewählt, wobei sie die jungen Rösser in Öl malte. An dem Faun brachte sie nun keinen Pinselstrich mehr zustande, sie hatte es immer wieder versucht, bis ihr Unterbewusstsein - oder war es gar die Muse - ihr verdeutlichte, dass auch keiner mehr nötig sei.
Nachdem sich Lucia heute Morgen in der Vorratsecke des Malateliers ihre Palette gefüllt hatte und nun zurück ins Labor trat, fand sie Leonardo darin vor. Er hatte ihre beiden großen Gemälde auf dem Arbeitstisch aufgestellt und wollte von ihr erfahren, an welchem sie zu malen beabsichtige, worauf sie auf die Pferde deutete.
"Nicht an diesem Windes eiligen Faun?", fragte er, was Lucia irritierte, da sie dieses Bild für fertig hielt.
"Warte", sagte er, nahm ihr die gefüllte Palette aus der Hand, stellte sie beiseite und forderte Lucia auf: "Dann verrate mir jetzt, was du an diesen übermütigen Jungtieren verändern willst, etwa ihr Temperament bremsen?"
"Leonardo!"
"Ich frage ja nur." Da sie nicht antworten konnte, mahnte er sie: "Lucia, man muss auch erkennen, wann man aufzuhören hat."
"Si, aber . ."
"Nichts aber, die Gemälde sind beide fertig, jedes bisschen Mehr würde sie verderben. Du malst wirklich unglaublich schnell. Und jetzt schau dir die Bilder so an, als hätte sie ein anderer gemalt, und dann nenne mir dein Urteil."
Sie versuchte es, musste jedoch nach einer Weile zugeben, dass sie dazu nicht fähig war.
"Nicht? Ohje", bedauerte er, "dann müssen das Bernardino und Giovanni übernehmen. Ich hole sie her."
Er verließ das Labor und Lucia hätte die beiden mannshohen Bilder jetzt am liebsten mit Tüchern verhängt, denn nichts war ihr peinlicher, als ihre Malereien zu präsentieren, was jedem in der Bottega bekannt war. Aber so ungezwungen sie sonst mit Leonardo umging, in Situationen wie dieser war er der Maestro und sie sein Garzone.
Nicht lang und Leonardo kehrte mit seinen Artisti und Garzoni zurück. Darauf trat Lucia an die offene Terrassentür, blickte hinaus und achtete nicht auf ihre Kommentare. Dennoch bemerkte sie, dass alle schwiegen, was dann doch etwas Neugier in ihr weckte.
Mit einem Mal begeisterte sich Giovanni: "Heiß, diese Rösser, sie fordern zum mit Toben auf."
"Stimmt", bestätigte Rolando, "sie reißen einem mit. Und mit dem Faun will man durch dieses ätherische Blattwerk rauschen, man will seine frische Ätherwelt atmen, so sein wie er, alles sehen und erleben wie er."
Dann wieder Schweigen. Jetzt nahm Lucia wahr, dass jemand zu ihr trat. Es war Bernardino, er legte ihr wie einer schutzbedürftigen Maid seinen Arm um die Schultern, führte sie trotz ihres Widerstrebens zu den anderen und sprach dann Leonardo an:
"Maestro, du hast in unserem schüchternen Lukas ein außergewöhnliches Talent erweckt. Ich ziehe meinen Hut vor seinem Können."
Lucia wollte sich gewaltsam abwenden, kam gegen Bernardinos starken Arm jedoch nicht an, und dann richtete auch noch Giovanni das Wort an sie:
"Du hast eine ungewöhnliche Gabe, Lukas. Solcher Art Kunstwerke habe ich noch nie gesehen - teils kühn, teils hauchzart und immer voller Leben. Dahinter können sich meine braven Werke verstecken."
Dagegen wollte sich Lucia auflehnen, doch Leonardo bannte sie mit
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