Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Essen auf den Tisch zu bekommen, Männer in ihren verschiedenen Berufstrachten tapsten oder schritten durch die Gassen, hier und da ein Wasserverkäufer, auch mal eine Gruppe miteinander schwatzender und lachender Menschen und zwischen ihnen immer wieder spielende Bambini. Wie überall und stets wurde Lucia von vielen neugierig beäugt, sie rätselten, welchem Berufszweig dieser junge Reiter wohl angehören mochte, denn als angehender Künstler war sie nicht zu erkennen. Bedauerlich, fand sie jetzt, da am gestrigen Abend der Wunsch in ihr erwacht war, in ihrer Freizeit ebenfalls solch legere und farbenfrohe Kleidung wie Leonardo zu tragen. Einzig den Künstlern war es gestattet, ihre Tracht nach freier Wahl zu gestalten, wobei der Hut allerdings einheitlich zu sein hatte, jedenfalls in hier Italien.
Plötzlich zog sich der Himmel wieder zu, ein Platzregen drohte. Lucia versuchte rechtzeitig einen Unterschlupf zu finden, was aber unmöglich war, da ebenso plötzlich die vielen Fußgänger wie aufgescheuchtes Federvieh kreuz und quer über die Gasse stoben. Allerdings nur für kurze Zeit, denn schon bald erkannten sie, dass ihnen der Himmel einen Schabernack gespielt hatte, zwar hatte er ihnen finster gedroht, doch nun wurde sein Gesicht wieder freundlich. Darüber lachten sich nun alle gegenseitig an, und die Fußgänger gaben die Mitte der Gasse wieder für die Reiter frei. Dennoch war Lucia gewarnt und schlug den kürzesten Weg zum Gasthof ein, wer wusste schon, was dieser Lenzinghimmel noch im Schilde führte.
Wenig später ließ sie sich im Speisesaal des Gasthofs ein Lammbratengericht schmecken, das ihr nach den langweiligen Eintöpfen, die ihnen Charlotta in der Bottega täglich vorsetze, wie ein Festmahl vorkam.
Auf Lucias anschließendem Heimweg war ihr Kopf wieder frei, ihr Gemüt erfrischt und, gemäß des momentan wieder sonnigen Wetters, war sie bester Dinge.
Im Stall der Bottega angelangt, hielt sie sogleich Ausschau nach den Pferden der Künstler - ja, stellte sie fest, vier von ihnen standen an ihren Plätzen, und Leonardos braunen Wallach entdeckte sie ebenfalls. Darauf führte sie auch Oskar an seinen Platz, und wie sie ihn zu entsatteln begann, hörte sie jemanden über den Plattenweg kommen. Sie blickte nach draußen und erkannte im Gegenlicht Leonardo, nicht in seiner immer so ideenreichen Künstlerkleidung, sondern im grauen Malanzug. Jetzt erreichte er die Stalltür, trat aber nicht ein, sondern lehnte sich mit dem Rücken an den Türrahmen und verschränkte unsicher die Arme vor der Brust. Lucia trat zu ihm: "Buon giorno, Leonardo!"
Er murmelte ebenfalls einen Gruß, wobei er unter sich blickte. Dann aber sah er sie an und fragte: "Warum weichst du mir aus, Lukas?"
Sie verstand nicht, "no", entgegnete sie, "tu ich doch nicht, wie kommst du darauf?"
"Weil du mich beim Frühstück alleine gelassen hast, deshalb."
"Doch nicht, um dir auszuweichen, Leonardo. Ich war heute Morgen so früh dran, mindestens eine Stunde vor dem Frühstück, weshalb ich gleich zu meinem Onkel geritten bin."
Während dieser Erklärung hatten sich Leonardos Arme gelockert und sein Gesicht entspannte sich, als er sagte: "Nur das war also der Grund, und ich habe schon gedacht . . , ach, nichts. - Eigentlich bin ich auch nur gekommen, um dich zu unterrichten, dass außer Bernardino und Giovanni auch Marco und Antonello da sind." Er wandte sich zum Gehen und fügte über die Schulter noch hinzu: "Sie warten schon auf dich."
Lucia schaute ihm irritiert nach, dass sich Marco und Antonello in der Bottega befanden, hätte er ihr nicht mitteilen müssen, was aber hatte ihn tatsächlich hierher getrieben? Seit seiner gestrigen Umarmung benahm er sich sonderbar. Vielleicht sollte sie ihm zu verstehen geben, dass sie diese nette Geste so freundschaftlich empfunden hatte, wie sie gemeint gewesen war. Nein, wies sie diesen Einfall sogleich wieder zurück, nicht nötig, ihre Erklärung eben hatte ihn offensichtlich umgestimmt.
In ihrer Wohnung legte auch Lucia ihren grauen Malanzug an, diesmal einen frisch gewaschenen, auf die Gefahr hin, dass Charlotta wieder nörgelt, sie müsse keinermanns Anzüge so oft waschen wie ihre. Als Jungfer war sie eben reinlicher als ihre männlichen Kollegen. Damit war sie bereits in Meran als Laborlehrling aufgefallen, wo deren Arbeitsanzüge ebenfalls grau, allerdings hellgrau, fast weiß waren, und Lucia hatte ihren mindestens alle sechs Wochen waschen lassen.
Wie Lucia nun in ihrem frischem Malanzug
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