Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
vernachlässigt aus, was den ordnungsliebenden Leonardo erneut in Harnisch versetzen könnte. Zunächst wischte sie die verklecksten Böden zwischen den Füßen der Künstler sauber, das konnte sie sich momentan leisten, weil sie ihre Malerei unterbrochen hatten, und anschließend säuberte sie ihre Arbeitsplatten. Danach sah alles schon manierlicher aus. Nun stellte sie ihnen neues Leinöl zurecht, legte frische Lappen daneben und begann dann, ihre vielen dicken und dünnen Pinsel zu reinigen, wobei sie zwischendurch immer wieder die Vorhänge auf- oder zuziehen musste. Als sie schließlich auf Antonellos Geheiß in der Vorratsecke eine neue Farbpalette für ihn herrichtete, erschien Leonardo abermals im Malatelier und trat reihum zu jedem hin, um ein freundliches Wort mit ihm zu wechseln. Lucia hob er sich für den Schluss auf. So leise wie vorhin sprach er sie an: "Du hast also diese entscheidende Unterschrift geleistet?"
"Habe ich, und ich bereue es nicht."
"Freut mich", lächelte er. "Ich habe mir den ganzen Vormittag Sorgen um dich gemacht. Ist denn dein Erbe damit gesichert?"
"Das weiß ich erst in etwa zwei Wochen, wenn mein Onkel zurückkehrt.
"Musst du mir später genauer erzählen", er zögerte, "am besten heute Abend." Wieder stockte er, und sein Blick wurde unschön als er anmerkte: "No, da erwartest du ja deinen Carlo zurück. Oder?"
Lucia konnte nicht antworten, weshalb hatte er 'deinen Carlo' gesagt? Doch ihre Antwort interessierte ihn schon nicht mehr, er deutete auf die Palette und fragte in diesmal normaler Lautstärke: "Die richtest du für Antonello her, si?"
"Si, Maestro."
"Dann lass mich das machen." Jetzt wurde seine Stimme noch lauter: "Da muss nämlich Chromgelb mit drauf und auch dieses Bellwillorange, damit er diese Farben endlich in sein Gemälde einbringt."
Lucia wollte sich zurückziehen, er aber hieß sie, zu bleiben und hielt ihr dann im Flüsterton vor: "Du hast mich nun schon zum zweiten Mal wieder mit Maestro angesprochen."
"Doch nur vor den anderen."
"Ich will das auch vor den anderen nicht mehr von dir hören."
Dagegen wehrte sie sich: "No, das kann ich nicht, das kannst du nicht verlangen von mir."
"Feigling!"
Dann brachte er die fertig gefüllte Palette eigenhändig zu Antonello und forderte ihn auf: "Sag Lukas grazie, er hat sie dir diesmal besonders umsichtig hergerichtet."
Antonello musste lachen, natürlich hatte jeder mitbekommen, dass dies Leonardos Werk war - und damit war der Bann im Atelier gebrochen.
Nachdem Leonardo wieder durch die Hintertür verschwunden war, legten die Künstler ihre Lappen und Pinsel endgültig beiseite, erhoben sich von ihren Hockern, um sich die Beine etwas zu vertreten und begannen dann, sich gegenseitig ihre Ostererlebnisse zu erzählen.
Als schließlich alle gemeinsam im Holzhaus beim Abendbrot saßen, wurden sie immer ausgelassener, und Lucia bemühte sich, in kameradschaftlicher Art mitzuhalten. Dann aber brachte Salai sie in Verlegenheit, Charlotta teilte ihm mit, die Hausmaid seiner Pflegeeltern warte draußen auf ihn, und beim Verabschieden sagte er Lucia laut genug, dass alle es hörten, auch sie müsse bald zu Bett, so müde, wie sie dreinblicke.
"Kein Wunder, Don Lukas", musste auch noch Charlotta ihren Teil dazu beitragen, "Ihr wart heute ja schon in aller Frühe unterwegs, ich habe Euch auf Eurem Grauschimmel an unserem Haus vorbeireiten sehen."
"So früh war das nicht", versuchte Lucia, die Bemerkung abzuschwächen.
Mit wenig Erfolg, denn während Charlotta mit Salai das Haus verließ, blickten die Künstler ihren schmächtigen Lukas-Garzone besorgt an, und Leonardo riet ihr: "Da solltest du aber nachher das Wiedersehen mit Carlo nicht zu lange ausdehnen."
"Macht mir alles nichts aus", behauptete sie, "ich bin nicht die Spur müde. Außerdem freue ich mich auf Carlo."
Darauf veränderte sich Leonardos Blick in gleicher Weise wie vorhin, als er 'dein Carlo' gesagt hatte. Er sei also auf Carlo eifersüchtig, folgerte Lucia, und in sie müsse er demnach tatsächlich verliebt sein - in Lucia oder in Lukas? Wieder sagte ihr eine innere Stimme, Leonardo wisse längst, dass sie eine Jungfer sei. Oh, oh, zu viel Erkenntnis auf einmal. Deshalb verschob sie diese Überlegungen auf später, denn momentan musste sie sich heiter geben, damit man ihr die Erschöpfung nicht anmerkte. Und sie hielt wacker durch.
Nachdem endlich alle aufgebrochen waren und Lucia mit Leonardo die neue schwungvolle Fünfstufentreppe zum hinteren Hauseingang
Weitere Kostenlose Bücher