Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
erklommen, riet Leonardo ihr neuerlich: "Du solltest wirklich bald zu Bett gehen, Lukas. Ich habe das vorhin nicht erwähnen können, aber gestern Abend ist es ja reichlich spät geworden und dann noch dein anstrengender Tag heute."
Lucia freute sich, dass sein Blick diesmal frei von Eifersucht war, sein Rat war also ehrlich gemeint, weshalb sie nett darauf reagierte: "Ich werde mich rechtzeitig schlafen legen. Leonardo, der gestrige Abend ist zwar lang, aber unvergesslich schön für mich gewesen."
Dafür drückte er ihr warm die Hand: "Grazie, Lukas. Und buona notte!"
"Buona notte, Leonardo!"
In ihrer Guten Stube war Lucia verlockt, sich sofort aufs Sofa fallen zu lassen, doch sie tauschte zuvor ihren Arbeitsanzug gegen ihren bodenlangen Hauskittel und machte es sich erst dann halb liegend auf dem Sofa bequem. Wenn nur Carlo bald käm! - Wo wird Alphonse wohl heute übernachten? In Bagnolo? Er war ein rasanter Reiter, konnte es also bis dahin geschafft haben. Dann noch knapp drei Tage, und er wird Meran erreichen. Lucias Augenlieder wurden immer schwerer, weshalb sie sich aufrecht hinsetzte. Aber auch das reichte nicht aus, sie musste bald einsehen, dass sie ihren Kampf gegen den Schlaf noch vor Carlos Eintreffen verlieren würde. Also verschloss sie die Wohnungstür und legte sich zu Bett.
Die Sonne strahlte bereits hell in ihre Schlafstube, als Lucia am nächsten Morgen erwachte - sie hatte verschlafen. Dennoch räkelte sie sich erst behaglich unter ihrer Decke, bevor sie sie zurückschlug und sich erhob, war schließlich kein Verbrechen zu verschlafen. Dann aber beeilte sie sich mit ihrer Morgentoilette und kleidete sich hinterher ebenso flink an. Fertig. Nein, erst noch einen prüfenden Blick in den Spiegel. Ihre kurz vor Ostern neu geschnittene Frisur gefiel ihr nicht, deshalb lockerte sie sie etwas auf und klebte dann mit Frisiercreme die kurzen Stirnlocken nach hinten fest, Leonardo liebte eine freie Stirn. Jetzt sah das besser aus, hoffentlich hält es eine Weile. Dann verließ sie flugs die Wohnung.
Von den Treppenstufen her wurde sie freudig angerufen: "Buon giorno, Lukas!"
"Carlo", freute auch sie sich, "buon giorno! Du hast hier auf mich gewartet? Lange schon?"
"No, keine viertel Stunde. Der Maestro hat mir aufgetragen, dich ja nicht zu wecken. Er ist bereits zum Frühstück gegangen, und die anderen sitzen sicher auch schon am Tisch."
"Wenn schon", winkte sie ab. "Und jetzt erzähl, war es schön in Verona?"
Während sie langsam die Treppe hinab und anschließend durch den Hofgarten zum Speisehaus gingen, erklärte Carlo, er habe gestern Abend bei seiner Ankunft kein Licht mehr hinter ihren Fenstern entdeckt, weshalb er nicht bei ihr angeklopft habe. Dann erzählte er ein wenig von seiner Familie und richtete ihr von allen Grüße aus.
Inzwischen hatten sie das Blockhaus erreicht, und als sie eintraten, sprangen Bernardino, Giovanni, Salai, sowie der Gärtner und die beiden Knechte von ihren Stühlen hoch und begrüßten Carlo mit jenem italienischen Überschwang, wie auch Lucia ihn gestern gerne von ihnen erlebt hätte. Indessen winkte Leonardo Lucia zu sich, und während sie darauf um den langen voll gedeckten Holztisch herum zu ihm trat, erhob er sich und deutete neben sich auf den leeren Stuhl: "Den habe ich für dich freigehalten, du sitzt heute neben mir."
"Gerne", lächelte sie, was auch zutraf.
Doch wie sie sich niederlassen wollte, hinderte er sie daran: "Noch nicht, erst wenn sich der Tumult gelegt hat."
Langsam kehrte wieder Ruhe unter den Tischgenossen ein, und ehe sie ihre Plätze einnahmen, umfasste Leonardo Lucias Hand und erhob seine Stimme: "Einen Moment noch, Leute, bevor ihr euch gemütlich hinsetzt, habe ich euch etwas zu verkünden."
Alle Augenpaare waren neugierig auf ihn gerichtet, Lucia ahnte, was er vorhatte, und prompt ließ er verlauten: "Stellt euch vor, seit Ostern wissen Lukas und ich, dass wir miteinander verwandt sind. Zwar nur weitläufig, doch nah genug, dass wir uns seitdem duzen. - Was sagt ihr dazu?"
"Ein Hoch auf die Verwandtschaft!", ertönte es spontan aus Giovannis flinkem Mundwerk, worauf alle ihre Becher anhoben und die beiden fröhlich beglückwünschten.
Nur Carlo bedachte sie mit einem ungnädigen Blick, weil Leonardo noch immer Lucias Hand umschlossen hielt. Nach Lucia fiel nun auch Leonardo Carlos Blick auf, worauf er spontan ihre Hand frei gab, und wie er dann zum Anstoßen nach seinem Teebecher griff, drehte Lucia ihre linke Hand zu Carlo hin und
Weitere Kostenlose Bücher