Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Abend besonders zu Tage getreten war. Doch sie blieb beim Thema und fragte Alphonse, wie denn seine Eltern und beiden Schwestern zu dieser Adoption stünden. Darüber habe er bislang mit noch niemandem gesprochen, klärte er Lucia auf und werde es auch so lang wie möglich für sich behalten, damit sie ungehindert ihre Ausbildung fortsetzen könne.
Dafür streichelte sie ihm dankbar über den Arm.
Unterdessen war es für Lucia Zeit geworden, ihre Damenkleidung anzulegen. Gespannt, welche Garderobe ihre Mutter ihr mitgeschickt habe, betrat sie Alphonses Schlafstube, öffnete die dort zurechtgestellte Reisetruhe und stieß einen Freudenruf aus, ihr früheres Lieblingskleid für offizielle Anlässe lag darin, das dunkelblaue Brokatkleid. Nachdem sie es herausgehoben hatte, entdeckte sie in der Truhe noch zwei Rüschenunterröcke, die den langen Rock des Kleides zum Abstehen bringen sollen, außerdem Damenunterwäsche und ein paar elegante weiße Schuhe. Eine komplette Adelsrobe. Wie umsichtig, wie lieb von Maman, freute sie sich.
Im Nu hatte sie dann die Fettstiftfarbe, mit dem sie stets ihren Augenbrauen einen männlichen Anschein verlieh, abgewaschen und legte sich anschließend mit Bedacht Stück für Stück die Damenkleidung an. Wie sie danach vor den Spiegel trat, raschelten bei jedem Schritt ihre Unterröcke, genau wie früher. Von einem Moment zum anderen war sie wieder Lucia. Nur ihr Haar war heute kurz, was sie aber inzwischen nicht nur praktisch, sondern auch schick fand, zumal dieser Haarschnitt in Italien immer mehr in Mode geriet.
"Mädchen, wie bist du inzwischen schön geworden!", entfuhr Alphonse ein ehrliches Staunen, als sie zu ihm trat.
In dem Moment klopfte jemand an die Tür. "Das ist Advokat Rossi", wusste Alphonse, wandte sich von Lucia ab und öffnete ihm die Tür.
Ein langer steifer Mann trat ein, angetan in seiner Advokatentracht - rote, bodenlange Schaube über schwarzem Anzug, weiße Halskrause und schwarzer, breitkrempiger Spitzhut.
Nach einem knappen Gruß stand er sogleich am Stehpult, wo sein Advokatenauge die Adoptionsunterlagen entdeckt hatte. Zu Lucias Erstaunen war Alphonse, dessen linke Finger wieder zuckten, mit einem Mal ebenso amtlich wie Signor Rossi, dem er die Papiere erklären wollte. Doch Signor Rossi wies ihn zurecht: "Lasst das sein, das ist nicht zulässig."
"Stimmt. Pardon."
Lucia, die in ihrer angemessenen Kleidung mitten im Raum stand, gab es für die beiden Rechtsgelehrten nicht mehr. Doch, plötzlich schon, Signor Rossi richtete über die Schulter kurz das Wort an sie: "Lucia Rodder?"
"Jawohl", antwortete sie im gleichen knappen Ton, wobei sie sich innerlich amüsierte, sie kannte dieses Advokatengehabe von Meran her nur allzu gut.
"Mich kennt Ihr", kam es gleich drauf beflissen von Alphonse, "ich bin Alphonse de Belleville."
Signor Rossi betrachtete ihn prüfend und fragte ihn dann: "Don de Belleville, wollt Ihr Lucia Rodder, Tochter Eurer Base Silke Rodder und dessen Ehemanns Peter Rodder adoptieren?"
"Si."
"Dann unterzeichnet hier."
Alphonse tat es.
Anschließend beorderte der lange dürre Mann in rot-schwarzer Amtsrobe mit einer Handbewegung Lucia zum Pult, und statt dann auch sie nach ihrem Einverständnis zu fragen, hielt er ihr nur den Federkiel hin und schnarrte: "Hier unterschreiben."
Sie zögerte bockig, bis Alphonse sie dezent anregte: "Lucia, du musst unterschreiben."
"Musst?", wiederholte sie spitz, setzte dann aber ihren Namen an die angegebene Stelle.
"Und hier jetzt auch", befahl Signor Rossi, "aber diesmal mit deinem künftigen Nachnamen, nämlich mit d e B e l l e v i l l e, wie auch dein künftiger Adoptivvater heißt."
"Aha", tat sie ernst, "so also heiße ich künftig", und schrieb diesen Namen nieder.
Kaum fertig damit, drückte sie der Advokat mit seinem harten Ellbogen zur Seite, setzte seine eigene Unterschrift unter ihre, ließ dann mit der Kerzenflamme erhitztes Wachs auf das Dokument träufeln und drückte sein Siegel darauf.
Nach dieser Tat verneigte er sich vor Alphonse.
Der verstand und zahlte ihn aus.
Darauf verabschiedeten sich die Männer voneinander, Lucia war abermals Luft für beide, und Alphonse begleitete die steife Amtsperson zur Tür hinaus.
Das war's, damit war Lucia adoptiert.
Eigentlich hätte sie dieser Akt nicht überraschen dürfen, denn ähnlich, wenngleich bedeutend länger, war seinerzeit in Meran die Testamentsänderung verlaufen, und kaum anders hatten sich im Bellwillwerk stets die Zunfthüter verhalten. Doch das
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