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Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)

Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roswitha Hedrun
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strich, für die anderen unmerklich, mit dem rechten Zeigefinger über ihren Freundschaftsring. Carlo verstand die Geste und grinste sie entschuldigend an.
"Willst du keine Glückwünsche entgegennehmen?", fragte Leonardo gleich drauf Lucia, worauf sie geistesgegenwärtig zurück fragte:
"Wie denn, mit leerem Becher?"
Unter aller Gelächter schenkte Leonardo ihr mit eleganter Kellnergeste Milch in den Becher, mit dem Lucia dann über den Tisch hinweg vergnügt mit jedem anstieß. Als schließlich alle ihre Plätze wieder eingenommen hatten, wurden Leonardo und Lucia gefragt, was sie eigentlich seien - Ahnenvettern? Urgroßbrüder? Etwa Onkelschwäger? Bis Carlo behauptete, den Verwandtschaftsgrad zu erkennen: "Sie sind Weitcousins, sieht man doch."
Darauf drang Salais Knabenstimme durch das neuerliche Gelächter: "Wieso? Wo sieht man das denn?"
"Am Kopf, Salai", erklärte Carlo ihm mit überzeugend ernstem Ausdruck, "beide haben doch genau den gleichen dicken Lockenschopf."
"Gar nicht", widersprach Salai, "der eine ist rot und der andere blond, so, so nudelblond. Und der rote gefällt mir besser."
Darauf blinzelte Lucia Leonardo triumphierend an, doch da er den Niedergeschmetterten mimte, tröstete sie ihn: "Nicht weinen, Weitcousin, dafür hast du die aparteren Fußnägel."
Sie feierten mit Tee und Milch bis in den Vormittag hinein, und auf dem anschließenden Weg zum Palazzo bedankte sich Lucia leise bei Leonardo: "Grazie, dass du mein Duzproblem so elegant gelöst hast."
"War mir ein Vergnügen, kleiner Feigling."

    So menschlich die Bottegaangehörigen Leonardo in den letzten Wochen auch erlebt hatten, jetzt war er wieder ganz Maestro. Seit der Duzfeier im Blockhaus arbeitete er unentwegt an jenem großen Gemälde, an dem sich im zurückliegenden Jahr vorwiegend Bernardino und Giovanni betätigt hatten. Das Gemälde musste vollendet werden, denn im Scheidingmond wird es in einem Kloster bei Padua erwartet, und ein halbes Jahr zum Trocknen muss man einem Ölgemälde nach seiner Fertigstellung noch einräumen.
Wie stets malte Leonardo beidhändig, mal mit der rechten, mal mit der linken Hand und trug bei den feinsten Ausarbeitungen seine Brille. Meist arbeitete er im Stehen, mitunter kletterte er auf die bereitstehende Trittleiter, um die oberen Partien in Augenhöhe zu haben, manchmal saß er auf seinem Malhocker, und es kam auch vor, dass er auf dem Boden liegen musste, um an den unteren Partien arbeiten zu können. Bernardino und Giovanni waren diese körperlichen Aktionen auch nicht erspart geblieben, doch sie hatten sich, wenn es gar zu unbequem geworden war, von Lucia oder Carlo die Palette halten und sich die Pinsel reichen lassen. Leonardo tat das nicht, er arbeitete für sich alleine, wobei seine jetzt wieder goldgrünen Augen leuchteten wie zwei Sonnen.
Das Gemälde, das sich die Künstler, Lucia und Carlo immer wieder aus angemessener Entfernung betrachteten, wurde mit jedem Tag ausdrucksstärker. Leonardos Künstlerfeuer erweckte alles darauf zum Leben, nicht nur Maria und Elisabeth mit ihren Knaben, auch jeden Baum, Busch und jede Blume des Gartens, in dem sie saßen. Es war faszinierend, solch geniales Schaffen mit anzusehen.
Obschon Leonardo derzeit nichts um sich her wahrnahm, sorgten die Artisti und Garzoni für optimale Ruhe im Atelier. Sie redeten nur das Nötigste miteinander und das auch nur im Flüsterton, die Gastkünstler blieben der Werkstatt vorab fern, Atelierbesucher und Kunsthändler, die hier hereinschauen wollten, wurden auf später vertröstet, und mit Salai beschäftigten sich Bernardino, Giovanni, Lucia und Carlo abwechselnd draußen im Hof. Das behagte dem inzwischen elfjährigen Bub gar nicht, da er momentan auch im Hof nicht laut herumtollen durfte, vielmehr musste er die meiste Zeit mit jemandem lernend auf der Terrasse des Blockhauses verbringen. Lucia oblag es seit jeher, ihm Latein beizubringen, absolut nicht sein Lieblingsfach. Deshalb knurrte er häufig: "Der Maestro kann kein Wort Latein, sag mir, warum dann ich das lernen muss."
Darauf eine Antwort zu finden, war nicht leicht, da Leonardo tatsächlich kein Latein beherrschte und auch keinen Sinn darin sah, es zu erlernen. Ganz anders Carlo, der zeigte großes Interesse daran. Wie auch früher schon, setzte er sich, wann immer er konnte, zu Lucia und Salai, um mitzulernen. Das spornte Salai zwar stets etwas an, aber leicht machte er es Lucia auch dann nicht, weshalb sie stets aufatmete, wenn diese Stunde vorüber war.

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