Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
knotterte er: "Wenn Vater wenigstens statt der fünfjährigen Laboranten- die nur dreijährige Herstellungslehre von mir verlangt hätte! Als ob zwischen diesen Berufen solch ein Unterschied liegt!"
"Du weißt sehr wohl, wie sehr sich diese Berufe unterscheiden. Aber ein Vorschlag, kleiner Bruder, beweise im Labor mehr Interesse, und wenn sich deine Leistungen dadurch steigern, könntest du deine Lehrzeit verkürzen. Was unser Herr Vater wahrscheinlich unterstützen würde, und ich würde dann als Werksinhaberin bei der Zunft ein maßgebliches Wort für dich einlegen, um einen vorgezogenen Prüfungstermin für dich zu erwirken. Erst danach trittst du die Mechanikerlehre an, die du auf die gleiche Weise ebenfalls verkürzen kannst. Insgesamt könntest du somit ein ganzes Jahr gewinnen."
So wenig Justus diese neue Möglichkeit auch zusagte, er zog sie in Erwägung, und nach einiger Zeit gestand er Lucia, er habe sich im Labor absichtlich ungeschickt angestellt, um die anderen glauben zu machen, er tauge nicht für diesen Beruf. Aber das werde er jetzt ändern.
"Wenn du schlau bist, tust du das", regte sie ihn an, worauf er sie grinsend verbesserte:
"Scharf heißt das."
"Wie bitte?"
"Scharf sagt man, nicht schlau."
"Achso", lachte sie und verpasste ihm eine leichte Kopfnuss mit der Erklärung: "Auf dass du noch schärfer wirst."
Das brauchte er nicht zu werden, er hatte schon immer anständig was im Köpfchen, und wie sie nun wieder durch den Park den Hügel hoch spazierten, berichtete er Lucia von seinen mechanischen Erfindungen, die er in seiner Stube am Schreibpult aufgezeichnet hatte. Darauf erzählte sie ihm, ihr Lehrmeister, der nicht nur Künstler, sondern auch Erfinder sei, habe eine Uhr gebaut, die ihn morgens mit einem Klingelgeräusch wecke. Das konnte Justus kaum glauben und wollte wissen, wie so etwas denn funktioniere. Lucia aber musste ihm gestehen, dass sie diesen Zauberapparat, als der Meister ihn im Atelier vorgeführt habe, zwar bestaunt, doch seine Funktion nicht annähernd verstanden habe. Darauf bat Justus sie mit glühendem Blick, sie möge sich diese Weckuhr nochmal vorführen lassen, um sie ihm bei ihrem nächsten Besuch erklären zu können, Lucia aber gab schlagfertig zurück, er solle selbst seine scharfe Birne anstrengen, sonst würde sie sein Talent nicht überzeugen.
"Das werde ich. Ja, das werde ich", hörte sie ihn darauf murmeln.
Nach dem Abendbrot suchte Lucia ihr neues Wohnreich auf, um ihrem Vater schriftlich darzulegen, welch enttäuschenden Eindruck er bei ihr hinterlassen habe. Dazu betrat sie ihren Lieblingsraum, die Gute Stube, die mit den eleganten und gleichsam etwas verspielten Möbelstücken ihrer verstorbenen Großmutter eingerichtet war. Es war ein ausgesprochenes Damenzimmer, in das Lucia mit ihrer derzeitigen Fräuleinkleidung ausgezeichnet hinein passte. Nicht nur hier, überall auf dem Bellwillhügel, ja, in ganz Meran konnte Lucia nun sein, wer sie war, eine weibliche Person. Seit sie in Meran eingetroffen war, brauchte sie sich nicht mehr zu verstellen, konnte sich wieder bewegen und sich benehmen, wie es ihr von Natur gegeben war, sie brauchte kein einengendes Leibchen zu tragen und ihr war zum ersten Mal bewusst geworden, dass sie eine normale Frauenfigur hatte, nicht zu groß- und nicht zu kleingewachsen, nicht zu mollig und nicht zu schlank. Einzig ihre dunkle Stimme, die sie jetzt nicht mehr anzuheben versuchte, passte eher zu Lukas.
An dem feinen Damenpult sitzend und vor sich einen Briefbogen, schraubte sie jetzt das Tintenfass auf, tunkte den Federkiel ein und wollte zu schreiben beginnen. - Aber was? Zumindest mal die Anrede: 'Verehrter Herr Va . ' . . Nein, natürlich nur: 'Verehrter Vater!' - Auch falsch, war gleich drauf ihre Reaktion, doch nicht 'verehrter!', und sie zerriss den zweiten Briefbogen. 'Vater', begann sie ein drittes Mal auf einem neuen Bogen und verlieh dann ihrer Empörung über ihn uneingeschränkten Ausdruck. Als sie bereits die Rückseite beschrieben hatte und nach dem nächsten Briefbogen greifen wollte, überflog sie die Sätze kurz und erkannte - falsch, viel zu unsachlich! Also begann sie ein viertes Mal. Diesmal sachlich. Bald aber flossen doch wieder unüberlegte Vorhaltungen aus ihrer Feder: 'Ich als Tochter beweise dem Vater mit geduldigem Warten auf . . '
Es pochte an die Tür, und auf ihr: "Ja, bitte", trat ihre Mutter ein, um sich zu erkundigen, ob sie noch lange zu tun habe, Justus und sie warteten doch im Vordergarten auf
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