Hexenlicht
Männern befassen.«
»Und was gefällt dir an diesem Jahrhundert nicht?«
»Seit wir uns aus dem Schatten begaben, ist meine Rolle als Anführerin komplizierter. Staatsangehörigkeit und Rechte haben ihren Preis. Wir müssen uns an die menschlichen Regeln halten. Sollten wir einen Fehler machen, haben wir so viel mehr zu verlieren.«
Alessandro antwortete nicht, sondern behielt seine Meinung für sich. Das Gros der übernatürlichen Bevölkerung lebte nach wie vor am Rande der Gesellschaft, geschmäht von den Menschen.
Gesetze waren etwas Schönes, aber Angst und Hass wurzelten tief. Trotzdem wusste er, dass Omara wie ein Albtraum wüten würde, um die Interessen ihres Volkes durchzusetzen. Und er leugnete nicht, dass sie eine sehr effiziente Königin war.
Die nun seufzte, als strapazierte sein Schweigen ihre Geduld. »Die menschlichen Behörden untersuchen eine Reihe von Vampirmorden in dieser Gegend. Weißt du davon?«
»Ja«, antwortete er stirnrunzelnd.
»Die Polizei wandte sich an mich, deshalb kam ich als Diplomatin her, um ihnen die Unterstützung der Vampirgemeinde bei den Ermittlungen zuzusichern.«
»Ich habe eben erst entdeckt, dass einer von uns in die Morde verwickelt ist. Wie lange ist es her, dass die Menschen sich an dich gewandt haben?«
Omara fingerte an einem ihrer Armreifen herum, den sie an ihrem zarten Handgelenk hin und her drehte. »Sie haben mich vor zwei Tagen angerufen, aus reiner Höflichkeit. Sämtliche Mitglieder unserer örtlichen Gemeinde werden von ihnen überprüft.«
Sie schüttelte den Armreif wieder zurück und schenkte Alessandro ihre volle Aufmerksamkeit. »Ich sagte ihnen gleich, dass du über jeden Verdacht erhaben bist.«
»Was sie dir nicht unbedingt glauben werden.«
»Du hast doch gewiss Leute, die dir ein Alibi geben können.«
»Ich arbeite allein, und ich weiß nicht, wann die Morde begangen wurden. Es ist durchaus möglich, dass niemand meine Unschuld beteuern kann.«
»Solltest du für die fraglichen Zeiten keine Alibis vorweisen können, werde ich dir welche beschaffen.« Sie lächelte verschwörerisch.
»Dein Vertrauen ehrt mich«, sagte Alessandro mit einem Kopfnicken.
»Ich brauche dich. In einer Gefängniszelle nützt du mir nichts.«
»Es könnte sein, dass wir rasch handeln müssen. Heute Abend gab ich der Polizei Anlass, mich aufzusuchen.« Er fasste die Ereignisse grob zusammen.
Omara hörte zu, und am Ende seines Berichts stand eine tiefe Falte senkrecht zwischen ihren Brauen. »Zeig mir das, was du gefunden hast!«
Die Orpheus-Medaille war in seiner Manteltasche, also ging er in die Küche und holte sie.
Omara hielt die Metallscheibe unter die Lampe. »Wie du bereits sagtest, ist sie sehr alt.« Als sie die kleine Münze umdrehte, stieß sie einen enttäuschten Laut aus. »Manche dieser Abzeichen haben ein Bild Euridikes auf der Rückseite. Dieses nicht, was bedeutet, dass es, nun ja, auf die Zeit vor der Pest zurückgeht. Erst danach haben die Schmiede sie geprägt.«
Alessandro schürzte die Lippen. »Ging es damals mit diesen lächerlichen Märchen über die Erwählten los?«
Sie blickte auf und lachte, was ihr das Aussehen eines jungen Mädchens verlieh. »Ach, könntest du dein verdrossenes Gesicht sehen! Bei der Geschichte schläfst du sofort ein, nicht wahr? Interessiert dich überhaupt nicht, was Orpheus alles riskierte, um Euridike aus den Fängen des Todes zu befreien?«
Alessandro winkte verächtlich ab. »Das sind Märchen für Träumer. Ich bin kein Romantiker.«
»Bist du dir da sicher?« Omara lächelte vielsagend. »Vergiss nicht, dass der Mythos von den Erwählten so etwas wie die Gralssuche unserer Art ist!«
»Schon gut, ich kenne die Geschichte. Wahre Liebe kann uns aus dem Tal der lebenden Toten befreien, so wie Orpheus sein Weib aus dem Hades zurückholen wollte.«
»Ah, und wie schaffst du es dann, ihr zu widerstehen? Bist du ein solcher Zyniker?«
»Mich kümmert nicht, wie sehr eine Sterbliche einen Vampir lieben könnte. Der Vampir muss sich immer noch nähren.«
Omara zuckte mit ihrer vollkommenen Schulter. »Mir scheint, du verstehst nicht, worum es eigentlich geht. Ein Vampir, der von einer Sterblichen auserwählt wurde, kann sich von ihrer Liebe nähren und wird von der körperlichen Lust anstatt durch Blut am Leben erhalten.« Ein Funkeln regte sich unter ihren dichten Wimpern. »Kein Wunder, dass die Legende so beliebt ist! Ich bitte dich – was kann man an ihr nicht mögen? Abgesehen von der
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