Hexenlicht
wir konnten es nicht abwarten, dass der Tag endlich vorbei war und wir uns wiedersahen.
Die Hintertür klickte hinter ihm ins Schloss.
Angst veränderte Menschen.
Holly atmete in kleinen flachen Stößen. Um sie herum fühlte sich das Haus leer an. Alle geruhsamen Nachmittage, in der Vergangenheit wie in der Zukunft, waren plötzlich fort.
Ich rettete ihm das Leben. Er sah, was ich kann. Er flippte aus.
Das Frühstück morgen würde nicht stattfinden. Frühstück war eine Metapher für Vermeidung. Er würde vergessen, anzurufen. Ihm käme etwas dazwischen. Was nicht seine Schuld war. Er wollte es nicht. Das war seine Art, einen eleganten Rückzug zu machen.
Und es war verflucht unfair.
Die Stelle in ihrer Brust, wo normalerweise ihre Gefühle saßen, war tot. Eine Weile noch, dann setzte der Schmerz ein.
Es würde höllisch weh tun.
Holly stieg die Treppe hinauf, zog sich aus und ließ sich ein heißes Bad ein. Ihre ganze Zukunft war soeben aus dem Gleis geraten. Sie verdiente ein wenig Trost, ehe sie sich überlegte, wie es weitergehen sollte.
Brekks, den nichts berühren konnte, folgte ihr nach oben und rollte sich auf dem Stuhl neben der alten, klauenfüßigen Badewanne zusammen. Es hätte ja sein können, dass Holly Gesellschaft wünschte. Sie spritzte Schaumbad in das laufende Wasser, so dass der Schaum bald bis zum Rand reichte. Während sie beobachtete, wie das Kondenswasser über die hohen schmalen Fenster rann, weichte sie sich ein.
Es wäre reinster, wunderbarster Genuss gewesen, hätten ihre Gedanken zur Ruhe kommen können, was sie leider nicht taten. Vielmehr jagte ein übler Gedanke den nächsten.
Als Erstes war da das Geschäft. Was einst ein florierendes Familienunternehmen gewesen war, bestand heute nur noch aus ihr allein, der letzten Carver. Schwierige Jobs wie Totenbeschwörungen brachten mehr Geld ein, aber sie stand nicht auf Schmerzen. Folglich musste sie doppelt so viele kleine Broterwerbsaufträge annehmen, um sich über Wasser zu halten: Versicherungsermittlungen, verlorene Haustiere, Wichtelvertreibung. Auf die Dauer war es ermüdend.
Wenn sie doch nur nicht allein wäre! Aber sie hatte niemanden mehr. Nachdem Hollys Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte Grandma sie großgezogen. Hollys Schwester war fortgezogen, als Holly noch ein Kind gewesen war, und ihr Halbbruder aus der ersten Ehe ihres Vaters war nie Teil ihres Lebens geworden. Womit ihr die Aufgabe zufiel, das Familienvermächtnis weiterzutragen.
Und nun war Ben fort, der ebenjenes Vermächtnis ablehnte, über das sie sich definierte. Ben irrte sich. Beschädigt oder nicht, ihre Macht hatte sich als zuverlässig erwiesen und die Flanders-Monstrosität besiegt. Sie hatte Leben gerettet.
Jawohl, ich!
Sie wünschte nur, sie hätte sich so mutig gefühlt, wie es sich anhörte.
Der Kater setzte sich auf und spitzte die Ohren. Als er zur Decke sah, reflektierten seine Augen das dämmrige Licht. »Mrrau«, machte er ängstlich.
Sofort richtete Holly sich platschend auf und lauschte in die Stille des Hauses. Was hatte Brekks erschreckt? Sie konnte nichts fühlen. Allerdings litt ihre Aufnahmefähigkeit darunter, dass sie im Wasser saß. Ein bisschen paranoid stieg sie aus der Wanne und trocknete sich ab. Ihr Flanellnachthemd hing an der Tür, wo es nach dem letzten Abend verblieben war, an dem sie es sich im Bett bei einem Mädchenfilm gemütlich gemacht hatte. Sie zog es über ihren Kopf.
Dann wickelte sie sich ein Handtuch um das nasse Haar und ging auf Zehenspitzen den Flur entlang. Brekks bewegte sich ausnahmsweise einmal so leise, wie es sich für eine Katze gehörte. Hollys Füße hinterließen feuchte Abdrücke auf dem Holzboden. An der Treppe zum zweiten Stock legte sie eine Hand auf den Pfosten und zögerte.
Was ist da oben?
Sie sollte sich keine Sorgen machen. Schließlich war dies hier ihr selbstreinigendes Haus, ein magisches Heim, das unantastbare Carver-Refugium. Dennoch schalteten ihre Instinkte auf Alarmstufe rot.
Wieso? Das ist doch bescheuert! Hier kann gar nichts sein!
, beruhigte sie sich und stieg die Stufen hinauf. Brekks blieb ihr dicht auf den Fersen. Sein Schwanz war zu einer Flaschenbürste aufgeplustert.
Holly erreichte den oberen Treppenabsatz schneller, als sie gedacht hatte. Etwas kaum Greifbares änderte sich, die Art des Staubs oder der Luftdruck, als hätte sich eine Tür im Äther geöffnet. Hollys Haut kribbelte. Es fühlte sich an wie Abermillionen Ameisen,
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