Hexenlicht
Schwierigkeiten. Wie kann ich ein Herz verlieren, das kaum noch schlägt?
Holly lehnte sich über den Beifahrersitz, um nach ihrem Rucksack zu angeln, was zur Folge hatte, dass ihr Duft im Wageninnern flirrte und ihn unbarmherzig anlockte. »Kommst du mit rein?«, fragte sie, während sie schon die Tür öffnete und ausstieg.
Zuerst hockte Alessandro regungslos da, seine Hände um das Lenkrad geklammert. Er war erstarrt, gefangen in einer über ihn hereinbrechenden Woge aus Furcht und Verlangen. Er war ein Monster, und sie war verwundbar.
Ich liebe sie. Ich vergewissere mich, dass in ihrem Haus alles sicher ist, dann gehe ich.
»Ja, natürlich. Ich weiß, dass du das Haus geschützt hast, aber ich möchte noch einmal alles überprüfen – nur sicherheitshalber.«
»Klar. Wäre ja blöd, wenn ich dich losjagen müsste, um noch mehr Mäusefallen zu besorgen.« Holly lief die Verandatreppe hinauf und schloss die Tür auf. In ihrem Ton schwang eine Flirtnote mit, die er unmöglich überhören konnte. Also folgte er ihr in Vampirgeschwindigkeit, was bedeutete, dass er sie sofort eingeholt hatte.
In dem Sekundenbruchteil, den er brauchte, um bei ihr zu sein, gestattete er sich, zu träumen.
Was, wenn ich für einen winzigen Augenblick der Mann für sie sein könnte, nicht das Monster? Das kann doch nicht zu viel verlangt sein
!
Er durfte nicht. Es gab zu viel zu tun. Er hatte Pflichten. Es gab Risiken.
Holly stellte das Dielenlicht an. »Komm rein!«
»Danke«, sagte Alessandro und zögerte nur einen winzigen Moment, ehe er ins Haus trat.
Holly beobachtete ihn, wie er dastand und jede Faser von ihm angespannt wirkte. Dann, nachdem er einmal kurz an sich herabgesehen hatte, streifte er die Reste seiner zerfetzten Jacke ab und ließ sie auf einen Stuhl fallen. Holly würde das gefranste Leder fehlen – vielmehr die Phantasiebilder, die es genährt hatte.
»Mach’s dir bequem!«, bot sie ihm an und ging voraus ins Wohnzimmer. Sie strengte sich an, möglichst normal zu klingen. »Möchtest du einen Tee?«
»Ja, gern.« Er klang ein klein wenig unsicher. Zwischen ihnen war etwas anders, aber keiner von beiden wusste, was es bedeutete.
»Bin gleich wieder da!«
Als sie sich umwandte, um in die Küche zu eilen, ging er zu ihrem CD -Regal und blätterte systematisch die Hüllen durch.
Ich habe einen Vampir von meinem Blut trinken lassen.
Das sollte sie entsetzen, tat es aber nicht. Es war ein ganz und gar nicht beängstigendes Erlebnis gewesen. Stattdessen fühlte sie sich auf eine erstaunliche Weise leicht, kribbelnd vor gespannter Erwartung. Vielleicht lag sie vollkommen falsch, und es gab doch einen Weg, wie Alessandro und sie mehr als Geschäftspartner sein konnten.
Das Siederauschen im Wasserkocher wechselte zu einem grollenden Brodeln, so dass der Behälter auf dem windschiefen alten Herd leise klapperte. Holly löffelte »Lady Grey« in die Kanne, zitronig und beruhigend, und goss den Tee auf. Dampf schlängelte sich aus dem Schnabel nach oben, der Holly an einen Miniaturflaschengeist denken ließ.
Sie genoss diesen Moment des Innehaltens, in dem noch alles möglich war. Das Haus um sie herum fühlte sich versonnen ernst an, sein Bewusstsein nach innen gekehrt wie bei einer Katze, die am Ofen döste.
Das war vollkommener Friede.
Ich bin hundemüde!
Holly brachte das Teetablett ins Wohnzimmer und stellte es auf den alten Walnuss-Bibliothekstisch unterm Fenster. Betont vorsichtig goss sie ihnen ein und reichte Alessandro seine Tasse. Er schnupperte an dem dampfenden Tee, wobei er die dünne Raku-Tasse mit beiden Händen hielt.
»Denkst du, dass wir hier heute Nacht sicher sind? Dass keine Fehlwandlerarmeen anrücken?«, fragte sie.
»Ich würde sagen, dass wir beide mit lästigen Besuchern fertig werden«, antwortete er achselzuckend und lächelte sogar ein kleines bisschen. Das netzgewebte T-Shirt brachte seine Brust und Arme sehr gut zur Geltung. Er besaß feste, praktische Muskeln, die typische Physiognomie vorindustrieller Zeiten, bei der schon ein Achselzucken richtig hübsch anzusehen war.
Holly setzte sich. Die Krise war vorbei und mit ihr jede Notwendigkeit, zu handeln.
Ich bin soooo müde.
Sie trank von ihrem Tee und fühlte, wie die Wärme köstlich ihre Kehle hinabfloss.
Dieser Augenblick der Entspannung war trügerisch. Genau wie nach dem Kampf mit dem Flanders-Haus forderte auch nun die Nachwirkung von Angst und Magie ihren Tribut. Zu spät erst fühlte Holly, dass ihr Tränen über
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