HexenLust 1
damit alles machen kann.«
Mit großen Augen starrte ich auf mein Geschenk. »Nur der erste Kuss?«
»Nur der erste Kuss bei Menschenkindern. Bei Dämonen ist die magische Wirkung nichtig«, wiederholte Bashir mit fester Stimme. »Dann muss er neu aufgetragen werden. Bitte leg ihn auf, es ist mein Abschiedsgeschenk an dich.«
Auf einmal wurde meine Hand unglaublich schwer. Die silberne Hülle schien Tonnen zu wiegen und mit ihr die Geschichte, welche auf ihr lastete. Ehrfürchtig zog ich die Kappe ab, drehte an der Unterseite und legte das tiefe Rot auf meine Lippen.
»Dankeschön«, hauchte ich und trat an Bashir heran. Zärtlich gab ich ihm einen Kuss auf die Wange. Einen ehrlichen, freundschaftlichen Kuss, der alle meine Emotionen ausdrücken sollte und trotzdem viel zu wenig sagte. Dann drückte mich Bashir an sich.
»Leb wohl, meine kleine Isabelle. Und vergib mir.« Zittrige Hände legten sich auf meine Wangen. »Geh bitte. Sie werden bald hier sein.«
Ich nickte und drehte mich um, obwohl ich noch so viel sagen wollte. Kurz bevor ich aus der Tür hinaustrat, sah ich ein letztes Mal zu ihm und erkannte in seinen Augen eine allzu menschliche Regung. Furcht.
»Leb wohl, Bashir.«
Begegnung mit dem Unbekannten
Ira bestand darauf, den Zirkel selbst zu verständigen, während ich meinen Wagen über den Freeway jagte und erste Schilder den John F. Kennedy International Flughafen ankündigten. Ich hatte ihr viel beigebracht. In kurzen, schnellen Sätzen teilte sie der Zentrale mit, was ich gesehen hatte und dass wir nur noch diese Nacht Zeit hätten, Nikolai unschädlich zu machen.
Das Blut eines magischen Menschenkindes brauchte er als Schlüssel, um wieder vollständig auf dieser Welt zu wandeln, mit aller Macht, die ihm die Hölle verlieh. Kurz überlegte ich, ob ich das Mädchen kannte, sie vielleicht selbst schon ausgebildet hatte oder ob es eine Hexe war, die wir noch nicht gefunden hatten. Egal, denn nun zählte nur noch eins: ihn aufzuhalten.
Keine Viertelstunde würde es dauern, dann würden alle Hexen und Reaper aus der Region den Flughafen umstellt haben und aus ihm eine Verteidigungslinie der Magie machen. Ich wünschte, dass Maddox bei ihnen war – der zweite Mann, der meine Selbstsicherheit gehörig ins Wanken gebracht hatte. Während es bei Nikolai die furchtsame Gewissheit war, dass er in meine Gedanken eingedrungen war, spürte ich zu Maddox eine tiefe Verbundenheit und Zuneigung. Die beiden hatten etwas an sich ...
»Neuer Look?«, wollte Ira mit angestrengter Stimme wissen und deutete auf meine Lippen. »Passt gut zu deinem blassen Teint.« Ich lächelte und war dankbar für diese kleine Sekunde Alltäglichkeit.
»Danke. Ist alles dem Zirkel gemeldet?«
Sie nickte beiläufig, während wir bei den Terminals ankamen.
»Sie werden bald hier sein. Sollen wir auf sie warten?«
Ich ließ meinen SLK unter einem Parkverbotsschild stehen und tippelte nervös mit meinen Fingernägeln auf das Lenkrad.
»Eigentlich ja. Wir wissen nicht, wie viele Dämonen er unter seiner Führung hat, und werden nicht ohne Weiteres an seiner Leibgarde vorbeikommen.«
Ira schnalzte mit der Zunge und zuckte mit den Schultern. »Du bist die Ranghöchste.«
»Was willst du damit sagen?«
Etwas zu schroff drehte meine Freundin sich zu mir um und fixierte mich mit kaltem Blick. »Und wenn er dieses Blutritual gerade jetzt durchführt? Wenn wir keine fünfzehn Minuten mehr haben? So können wir schon mal die Lage auskundschaften.«
Sie hatte recht. Wir durften keine Zeit verlieren. Immerhin stand eine komplette Unterwerfung der Menschen durch die Dämonen auf dem Spiel.
Der J.F.K. Flughafen sah aus wie ein einziges Lichtermeer. Auch zu dieser späten Stunde waren noch viele Passagiere unterwegs. Ich erinnerte mich an eine der ersten Lektionen, die ich im Zirkel gelernt hatte.
Die Menschen wussten nichts von unserer Existenz und das war der einzige Grund, warum sie problemlos weiterleben konnten. Wir waren der unsichtbare Schutzschild. Ihr unerkanntes Schwert. Ihre versteckte Barriere. Im Stillen, im Geheimen, nicht sichtbar für das menschliche Auge und doch immer da. Wartend. Beobachtend. Bereit.
Ja, Ira hatte recht.
»Lass uns gehen«, sagte ich.
Während wir auf das lichtdurchflutete Gelände traten, wickelte ich mir zwei Bänder ins Haar.
»Wie viel konntest du erkennen?«, fragte Ira mit schweifendem Blick über die riesige Glasfassade und die unzähligen Boutiquen, die sich vor uns aufbauten.
Ich
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