Hexenmacht
erkennen. Ich machte ein paar Schritte zurück, sehr vorsichtig, um nicht noch mehr Spuren zu zerstören...
Offenbar waren Cravens Leute einzig und allein an Sir Gilberts Abteil interessiert gewesen. Aber das schien ein Fehler gewesen zu sein. Schon wenige Meter weiter hatte ich einen weiteren Fleck entdeckt und wies den Inspektor darauf hin.
"Es sieht aus wie eine Spur", murmelte ich. "Eine Spur, die direkt zu Sir Gilberts Abteil führt..."
"Ich weiß nicht", erwiderte Craven etwas unschlüssig und kratzte sich dabei nachdenklich am Kinn. "Es ist genauso gut möglich, dass diese Flecken gar nichts mit Gilbert Gorams Tod zu tun haben!"
"Untersuchen würde ich Sie trotzdem!"
"Wissen Sie was, Miss Vanhelsing? Wir werden gut miteinander auskommen, wenn Sie Ihre Arbeit tun und mich die meine machen lassen. In Ordnung?"
Ich sah ihn an und nickte dann.
"In Ordnung", erwiderte ich. Craven würde mir gegenüber kaum zugeben, dass ich recht hatte, aber ich konnte davon ausgehen, dass er seine Spurensicherer zusammenstauchen würde, sobald ich nicht mehr dabei war.
Als ich wenig später den Zug verließ, sah ich, dass auch auf einer Trittstufe ein solcher Fleck war. Ich blieb kurz stehen.
Vor meinem inneren Auge formte sich unwillkürlich das Bild eines bleichen, ungeheuer faltenreichen Gesichtes, dessen blassblaue Augen böse funkelten. Der dünnlippige Mund war erst ein dünner Strich. Dann verzogen sich die aufgesprungen Lippen zu einen höhnischen Grinsen.
"Heh, was ist los, Miss Vanhelsing?"
Die Stimme des Inspektors drang wie aus großer Entfernung an mein Ohr.
Das ganze dauerte nur einen Augenblick lang, dann war es vorbei.
"Sie sehen ganz blass aus, Miss Vanhelsing", sagte Craven.
"Es ist nichts", murmelte ich halblaut. "Vielleicht bin ich nur einfach ein bisschen übermüdet."
*
Es war am Abend des folgenden Tages, kurz vor Redaktionsschluss, als Jim und ich im Büro von Michael T. Swann Platz nahmen.
Swanns Schreibtisch war ein einziges Chaos. Riesige Stapel von Post und Manuskripten drohten jederzeit einzustürzen und das Durcheinander damit komplett zu machen.
Swann sah mich einen Augenblick lang nachdenklich an und ich erwartete das Urteil über den Stella-Jordan-Artikel.
"Ihre Arbeit war ganz ordentlich", brummte er dann vor sich hin. "Das gilt für Text und Bilder." Aus seinem Mund war das fast schon ein enthusiastisches Lob, denn Swann hing der Meinung an, dass man mit Lob sparsam umgehen sollte. "Und was die andere Sache angeht, die Sie mir da vorgeschlagen haben, Miss Vanhelsing... Es kommt eine Meldung über den Toten Gilbert Goram in die morgige Ausgabe. Wir haben sogar ein altes Foto von ihm ausgegraben, das ihn bei einem Empfang ihrer Majestät zeigt..."
"Wir sollten an dieser Sache dranbleiben", machte ich ihm nochmal meine Überzeugung deutlich. "Der Tod von Sir Gilbert ist äußerst mysteriös und bislang scheint auch Scotland Yard keine plausible Erklärung zu haben..."
Swann nickte.
"Meinetwegen bleiben Sie an der Sache dran und versuchen Sie, etwas über die Hintergründe herauszufinden. Aber ich möchte Sie warnen!" Sein Zeigefinger schnellte bei den letzten Worten in die Höhe, während er mich mit einem durchdringenden Blick bedachte. "Ich kenne ja Ihre Vorliebe für ungewöhnliche Vorfälle...Aber bedenken Sie dabei, dass die News zwar ein Blatt ist, das auf Sensationen aus ist, aber sauber arbeitet. Das heißt: einwandfreie Recherchen!"
Ich lächelte.
"Nun, Scotland Yard dürfte doch eine Informationsquelle sein, die seriös genug ist, oder?"
Swann sah mich an und dann lächelte auch er.
*
Das Archiv der London Express News ist eine einzigartige Fundgrube. Sofern jemand irgendwann einmal an die Öffentlichkeit getreten ist, so ist dort auch etwas über ihn zu finden.
Über Sir Gilbert Goram musste schon deswegen etwas zu finden sein, weil er adelig war und sich vermutlich irgendwann auch auf gesellschaftlichem Parkett gezeigt hatte. Ich suchte lange und Jim half mir dabei. Über Sir Gilbert fanden wir allerdings nur eine beiläufige Erwähnung in einem Artikel, der sich mit seinem jüngeren Bruder John befasste.
John Goram war in den Siebzigern ein bekannter Lebemann und Playboy gewesen, der die Partyszene Londons unsicher gemacht und sein väterliches Erbteil mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen hatte. Über ihn gab es dutzendweise Geschichten. Auf den Bildern war John stets in tiefdekolletierter Damenbegleitung zu sehen, vorzugsweise mit
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