Hexennacht
»Vielleicht kann ich ja
dann in Italien wieder zu mir finden und ein neues Leben
anfangen.« Sie versuchte ein zaghaftes Lächeln. »Auch
wenn das bedeutet, dass ich die Ereignisse der letzten… der
letzten Monate verdrängen muss.«
Arved packte sie fester. »Du wirst es schaffen«,
flüsterte er ihr ins Ohr.
In dem Eichensarg lag der Zinksarg, wie Arved es beschrieben
hatte. Die Arbeiter schienen überrascht zu sein, denn sie hatten
nicht mit weiteren Anstrengungen und Mühen gerechnet. Einer von
ihnen sagte mürrisch etwas, das Arved nicht verstehen konnte,
doch der andere zischte ihn an und deutete mit dem Kopf auf
Magdalena.
Der Beamte hatte den ganzen Abend noch kein Wort gesagt und sah
auch nicht so aus, als gedenke er das in absehbarer Zukunft zu
ändern.
Magdalena schaute kurz auf die Bemühungen der Arbeiter und
wandte dann den Blick wieder zu Arved. »Ein Aufschub«,
meinte sie. »Es tut so weh. Ich möchte wieder ein ganz
normales Leben führen können. Hoffentlich führt dieser
Abend nicht zum genauen Gegenteil.«
Darauf wusste Arved nichts zu sagen. Er war selbst sehr
angespannt, auch wenn er wusste, was sie erwarten würde. Was
würde er darum geben, wenn er sich geirrt hätte! »Du
wirst wieder ein normales Leben führen«, sagte er, ohne
selbst an seine Worte zu glauben. »Weit weg von hier. In
Italien. Und du wirst auch wieder Glück erfahren. Du musst es
nur zulassen.« Ich rede mal wieder wie ein salbadernder
Seelsorger, dachte Arved und seufzte. Es würde ihn wohl nie
loslassen. Eine Berufskrankheit.
Inzwischen hatten die Arbeiter eine Brechstange zwischen Sarg und
Deckel treiben können. Mit ganzer Kraft und einigen halb
zerbissenen Flüchen versuchten sie, den Deckel abzuhebeln. Er
widersetzte sich ihren Bemühungen standhaft. Der Beamte trat
inzwischen ungeduldig von einem Bein auf das andere und hielt sich an
seinem Notizblock mit vorgedruckten Formularen fest. Jürgen W.
Martin hatte sich etwas abseits gestellt, während Magdalena und
Arved miteinander redeten, doch als er sah, dass die beiden in
Schweigen verfallen waren, trat er wieder an Arveds Seite.
»Spannend, spannend«, meinte er leise und schrieb etwas
in ein kleines Notizbuch. »Gleich ist es wohl soweit. Ich
wünschte, ich wäre ganz weit weg. Aber das konnte ich
keinem Kollegen überlassen, der womöglich eine schlimme
Story daraus gemacht hätte.«
Arved drückte ihm still die Hand. »Ich bin Ihnen sehr,
sehr dankbar«, sagte er aus der Tiefe seines Herzens. »Sie
haben mir sehr geholfen – damals und jetzt. Das werde ich Ihnen
nie vergessen.«
»Na, hängen Sie’s nicht zu hoch«, scherzte
Martin, dem dieses Lob sichtbar unangenehm war. Er kratzte sich mit
dem Kuli hinter dem Ohr, schrieb wieder etwas und schaute dann
gebannt auf die beiden Arbeiter.
Sie hatten den Deckel gelöst.
Einer stellte sich an das Kopfende, der andere an das
Fußende, und gleichzeitig hoben sie den Deckel ab. Sie
ächzten und stöhnten dabei und wuchteten die Platte auf das
Nachbargrab.
Der Beamte trat als Erster vor. Er schrieb unbeteiligt etwas in
sein Formular. Erst dann machte er den Weg für die anderen
frei.
Arved ließ Magdalena den Vortritt. Er stellte sich dicht
hinter sie und legte ihr ganz leicht eine Hand auf die Schulter.
Neben ihm beugte sich Martin über den Sarg.
Magdalena holte tief Luft. Und weinte. Arved nahm sie in die Arme.
Sie drehte sich ab. Arved spürte ihre Tränen an seiner
Schulter. An ihr vorbei hielt er den Blick in den Sarg gerichtet.
Darin lag Jürgen Meisen.
Seine Haut war bleich und wächsern, doch die Verwesung hatte
noch nicht eingesetzt.
Er hatte die Lippen zu einem glücklichen Lächeln
verzogen.
Epilog
Als der Lastwagen sich entfernte, seufzte Arved auf und drehte
sich auf der Schwelle seines Hauses um. Seines Hauses in
Manderscheid. Ein Haus inmitten eines riesigen, überwachsenen
Gartens, in dem die letzten Rosen des Jahres blühten.
In der Diele stand Lioba. Sie trug eines ihrer alten,
geblümten Kleider und war über und über mit Staub
bedeckt. »Ich muss schon sagen, dass Sie auf Ihren Sachen nicht
oft Staub gewischt haben«, meinte sie grinsend.
»Es wird noch schlimmer, wenn ich die Kisten auspacke«,
gab Arved zurück und schloss die Haustür hinter sich. Es
war ein seltsames Gefühl, zwischen all den Kisten und den frisch
gestrichenen Wänden zu stehen. Er war froh, das dunkle Haus in
Trier verkauft zu haben, und er fühlte sich hier am richtigen
Ort.
»Wie gut, dass
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