Hexensabbat
der gemeine Mann, der Arme, oder der zünftige Priester, der nichts Höheres kennt als den Zehnten und die Beisteuer, die ihm aus Beichtehören und Messelesen erwächst, am Buchstaben, an der toten Lehre haften, und aus dem Mißverstand den Sinn, aus der kalten Verzweiflung den Trost holen wollen. Wir alle, wir Höherstehenden, wir Begünstigten, wissen, daß das Geheimnis eben ein verriegeltes Tor für jeden ist, der draußen bleibt; daß aber derjenige, welcher den Schlüssel besitzt, in diesen Lehren und Überlieferungen, in diesen Gesetzen und Strafen die Erklärung sieht und faßt, die ihn eines freieren und edleren Lebens würdig und fähig macht. Was der Geweihte in allen Zeiten lehren konnte, er, dem die Binde vom Auge fiel, der sich weder durch Buchstaben noch Gespenst schrecken ließ, das versteht derjenige, der ohne Frage und Antwort zum Bunde hinzugelassen ist. Das Göttliche ist nur darum ein Geheimnis, weil es der Haufe nicht versteht und nicht verstehen kann. Wunder ist alles, oder nichts. Der versteht das Wundervolle nur, der im verschlossenen Busen die Erklärung schon hinzubringt. Gesetz und Schranke dient nur, den Pöbel abzuhalten. Der erkennende Geist, der Erhabne, derjenige, welcher lieset, ohne sich mit den Buchstaben zu quälen, erreicht sogleich, ohne auf Staffeln hinaufzuklettern, die höchste, oberste Stufe. Dasjenige, was in unserer Religion das Göttliche, Wahre, Ewige ist, war schon da, bevor die Menschen noch von Christentum oder Christus wußten. Wir sind nur dadurch Christen, indem wir als Schüler das offenkundig bekennen und aussagen, was ehemals ein Geheimnis war. Das alte Geheimnis, was der Vorzeit unverständlich und ein Greuel war, ist nun nach außen gekehrt, und dafür das, was in frühern Jahrhunderten allverständlich war, wiederum zum Geheimnis geworden. Denn so erzeugt sich immerdar das Verständnis aus dem Unverständlichen. Derjenige aber, der beides verbinden kann und mag, nur er allein ist der wahre Mensch der Natur und der Religion; ihm allein sind alle Zeiten erschlossen, und nur er ist der Freiheit fähig, welche die Apostel in rätselhaften Worten dem wahren Christen verheißen haben. Die Vision mit den reinen und unreinen Tieren deutet darauf hin; der Spruch: dem Reinen ist alles rein, nicht weniger. Aber nur die Auserwählten haben den Mut, das ganze Leben in allen seinen Kräften zu erfassen, und niemals nach Reue, Vorwurf, und allen den Armseligkeiten zurückzublicken, durch welche jene schwachen Geister geängstigt werden, die immerdar der Sünde hingegeben sind, indem sie tugendhaft zu sein wähnen, und nicht wissen, wo sie den ewigen reinen Urquell der Wahrheit suchen sollen.
Ich verstehe Euch und Eure Weisheit nicht, antwortete Catharina; Ihr haltet mich für zu wissend und gelehrt, daß Ihr mir diese Gedanken mitteilt.
Und wandelt doch, sagte der Dechant lebhaft, seit Jahren in unsere Mitte nach dieser Einsicht, befolgt doch in Eurem Dasein und Walten diese Lehren. Ich habe Euch deshalb seit lange bewundert; diese Stärke des Charakters, diese Freiheit der Gesinnung ist es, die Euch mein Herz gewonnen haben. Ja, geliebte Frau, verstehen wir uns ganz, sprechen wir ganz offen miteinander, damit wir uns kennen und uns gegenseitig glücklich machen. Seit lange schon, so wie ich Euch kannte und beobachtete, habt Ihr mein Gemüt entzündet, alle meine Gefühle erregt, und die leidenschaftlichste Liebe hat sich meines ganzen Wesens bemächtigt. Mein Stand, mein Gelübde, alte Satzungen und Vorurteile, der Aberglaube und die Unvernunft haben mich, wenn ich mich allem diesen fügen will, auf immer elend gemacht und mein Dasein vergiftet. Genuß und Schönheit, Natur und Wahrheit, Kunst und Einsicht werden mir zum Fluch, wenn ich mich diesen Einrichtungen einer längst rasend gewordenen Welt fügen will. Wohin ich blicke, hat sich der denkende Priester, der Papst auf seinem Thron, der Bischof, sowie der einsame Mönch, alle haben sich diesen strengen Satzungen entzogen. Wir selber müssen jene witzigen Geschichten und anstößige Begebenheit belachen, welche von Priestern erzählt werden, und deren Wahrheit wir nicht leugnen können. Derjenige, der in der echten, alt strengen Furcht Gottes, in der Beobachtung jener Gesetze wandelt, die heilige Männer mit verfinsterten Sinnen vorschrieben, bleibt ehrwürdig und groß, wenn er kämpft und siegt; immer ist es erhebend, wenn das Sterbliche dem Unsterblichen (wie die Menschen denn nun einmal diese Trennung gemacht
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