Hexentage
Abend nur schwer, in den Schlaf zu finden. Er rollte sich auf seiner Decke von der einen Seite auf die andere und sorgte sich so sehr um Sara, daß sein Kopf davon schmerzte. Später dann, als er gerade kurz eingenickt war, rüttelte ihn ein unsanfter Tritt gegen seine Schulter wach. Er schlug die Augen auf und erkannte über sich im Schein der Öllampe das Gesicht des Unteroffiziers Per Olofson.
»Steht auf, Mann! Der Graf will Euch sehen.«
Jakob erhob sich schwerfällig und begann ernste Bedenken zu hegen. Nahm Gustav Gustavson ihm seine ungebührlichen Worte im nachhinein womöglich so übel, daß er ihn nun doch noch bestrafen wollte?
Der Graf schaute nicht sofort auf, als Jakob sein Zelt betrat. Er war damit beschäftigt, rotes Wachs auf ein Dokument zu träufeln und es anschließend mit seinem Siegel zu versehen.
»Das ist für Euch«, sagte er dann und reichte Jakob den Brief. »Überbringt dieses Schreiben in meinem Namen dem Osnabrücker Rat.«
Jakob nahm die Depesche mit Erstaunen entgegen und warf Gustavson einen ratlosen Blick zu.
»Gewiß seid Ihr neugierig, was dort geschrieben steht«, mutmaßte der Graf.
»Ich müßte lügen, wenn ich es abstreiten wollte«, erwiderte Jakob.
»Nun, dann will ich es Euch verraten. Es handelt sich um eine Anweisung an den Rat der Stadt Osnabrück und insbesondere an den Bürgermeister Wilhelm Peltzer, den Prozeß gegen Anna |262| Modemann und Anna Ameldung bis zu meiner Rückkehr auszusetzen. Zudem habe ich verfügt, daß sämtliche Indizien des Falles an unparteiische Rechtsgelehrte verschickt und den Frauen eine ausreichende Möglichkeit zur Verteidigung gewährt werden soll. Eine Mißachtung dieser Befehle belege ich mit einer Strafe von 10 000 Goldgulden. Diese Summe dürfte den Rat von weiteren Maßnahmen abschrecken.«
Jakob war einen Moment lang unfähig zu sprechen. Dann stammelte er: »Aber … warum tut Ihr das?«
»Weil ich vielleicht doch einfach ein sentimentaler Mensch bin. Mich rührt das Schicksal dieser armen Frauen, und ich möchte vermeiden, daß das Gesetzbuch in meinem Lehen mit Füßen getreten wird.«
»Ihr tut wohl mit dieser Entscheidung«, erwiderte Jakob und preßte den Brief vor sein Wams. In den Augen des Grafen konnte er jedoch eine andere Wahrheit lesen. Es war einzig seine durch Peltzer bedrohte Autorität, die ihn zu diesem Eingreifen bewogen hatte. Was mit den beiden bedauernswerten Frauen geschah, kümmerte ihn nicht, doch letztlich war es Jakob gleichgültig, ob Gustavson diesen Befehl aus Achtung vor dem Gesetz oder aus purem Machtanspruch verfaßt hatte.
»Gott segne Euch.« Jakob drehte sich um und lächelte zufrieden, während er aus dem Zelt trat und den schriftlichen Befehl noch immer wie einen Schatz an seinen Körper drückte.
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Kapitel 26
Jakob hatte gehofft, den Rückweg nach Osnabrück schneller hinter sich zu bringen als den ersten Ritt. Doch war er von den Strapazen bereits so sehr angegriffen, daß es ihm trotz der Rast im Kyritzer Feldlager nicht möglich war, länger als zwei oder drei Stunden auf seinem Pferd zu sitzen. Sein langsames Vorankommen |263| ärgerte ihn über alle Maßen, vor allem, da sich in seinem Gepäck der Befehl Gustavsons befand, der Anna Ameldung und Anna Modemann das Leben retten konnte. Möglicherweise war es bereits zu spät. Er hatte Osnabrück vor zehn Tagen verlassen; vielleicht war das Urteil bereits abgefaßt und vollstreckt worden.
Endlich, am 6. Oktober 1636, machte er von weitem die Silhouette Osnabrücks im Hasetal aus.
Gott helfe mir, daß ich rechtzeitig zurückkehre,
dachte er müde und lenkte Melchior auf das Stadttor zu. Er wäre gerne direkt zu Sara geritten, um ihr die frohe Kunde mitzuteilen. Womöglich empfing sie ihn bereits mit einem Kind in den Armen. Doch sein Verlangen nach Sara mußte aufgeschoben werden, denn es war seine erste Pflicht, Albert Modemann aufzusuchen und ihm den Brief des Grafen Gustavson zu überbringen.
»Großer Gott, Ihr seht schrecklich aus!« Modemann drückte Jakob die Hand und schaute ihm sorgenvoll ins Gesicht.
»Es geht mir gut, ich habe nur zu spüren bekommen, daß ich alles andere als ein geübter Reiter bin«, entgegnete Jakob und zog das versiegelte Papier aus der Ledertasche. »Ich bringe Euch gute Nachrichten. Gustavson hat verfügt, daß der Prozeß gegen Eure Mutter und Anna Ameldung bis zu seiner Rückkehr aufgeschoben werden soll. Zudem droht er Peltzer und dem Rat mit einer immensen Geldstrafe, falls
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