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Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Wilcke
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machen.«
    Was sie damit meinte, begriff er erst, als er in Georg Meddersheims Werkstatt stand. Nichts schien sich mehr an seinem angestammten Platz zu befinden. Die Arbeitstische waren umgestoßen worden, der Inhalt der Schränke lag auf dem Boden |281| verstreut, und sogar eine der Fensterscheiben war zertrümmert worden. Ein tristes Bild der Verwüstung, das Jakob unweigerlich an die zurückgelassenen Troßwagen der herumziehenden Armeen erinnerte, denen er auf seiner Reise begegnet war.
    »Wo ist Meister Meddersheim?« wollte Jakob von Mina wissen.
    Sie deutete mit dem Finger zur Decke. »In Saras Zimmer. Er kommt gar nicht mehr heraus.«
    »Wie lange ist er schon dort?«
    »Weiß nicht. Zwei Tage oder länger.«
    Jakob ging die Treppe hinauf und öffnete behutsam die Tür zu Saras Zimmer. Er hatte erwartet, es ähnlich verheert wie die Werkstatt ihres Vaters vorzufinden, doch was er sah, erstaunte und erschreckte ihn zugleich.
    Das Zimmer war fast leer. Alle besonderen Gegenstände, die Sara hier versammelt hatte, waren entfernt worden. Jakob mußte daran zurückdenken, wie er die Kammer zum ersten Mal betreten und all die kleinen und größeren fremden und wundersamen Gegenstände aus einer fernen Welt bestaunt hatte. Nun war es wieder ein völlig normaler Raum, dessen einziges Inventar aus dem Bettkasten bestand, auf dem Georg Meddersheims hockte.
    Jakob setzte sich neben ihn und legte einen Arm um die Schultern des Goldschmieds. Saras Vater zuckte zusammen und schaute ihn aus tränenverquollenen Augen an. Auf seiner linken Wange war eine häßliche Abschürfung zu sehen.
    »Was ist hier geschehen?« fragte Jakob.
    »Ich … ich konnte es nicht verhindern«, antwortete der Goldschmied mit tränenerstickter Stimme. »Sie waren zu viert. Einer von ihnen schlug mich nieder, als ich mich weigerte, ihnen Sara auszuliefern. Sie fanden sie hier im Zimmer, packten sie bei den Armen und führten sie in einem so festen Griff ab, als befürchteten sie, Sara könnte ihnen davonfliegen. Anschließend durchstöberten sie die Zimmer und meine Werkstatt nach Zauberutensilien. Sie trugen alles hinaus, was ihnen verdächtig erschien, |282| vor allem Saras arabische Bücher und ihre Kräuter und Tinkturen. Ich habe ihr so oft geraten, sie solle vorsichtig mit diesen Dingen sein. Viele Menschen, die nie in der arabischen Welt gelebt haben, verstehen nicht die Bedeutung dieser Gegenstände.«
    »Es tut mir leid«, meinte Jakob.
    Meddersheim hob seine Hände. Sie zitterten wie Laub im böigen Wind. »Ich habe versucht, die Unordnung zu beseitigen, aber meine Hände … sie wollen mir einfach nicht mehr gehorchen.«
    Jakob erinnerte sich daran, was Sara ihm über ihren Vater und die Zeit nach dem Tod ihrer Mutter berichtet hatte. Auch damals hatte der Verlust eines geliebten Menschen dem Goldschmied so arg zugesetzt, daß er monatelang nicht in der Lage gewesen war, seinen Beruf auszuüben.
    »Ich fühle mich schuldig«, brachte Jakob hervor. »Wahr scheinlich wäre Sara ohne mich niemals in diese Lage geraten.«
    Meddersheim erwiderte zunächst nichts auf Jakobs Worte, und dieses Schweigen belastete Jakob schwerer, als wenn der Goldschmied ihm bittere Vorwürfe gemacht hätte.
    Statt dessen sagte Saras Vater nach einer Weile: »Jakob, Ihr seid sehr gut mit dem Bürgermeister bekannt. Ich flehe Euch an, legt ein gutes Wort für meine Tochter ein. Sorgt dafür, daß eine gründliche und vor allem gerechte Untersuchung der Vorwürfe gegen sie eingeleitet wird.«
    Jakob verzog das Gesicht. Er wäre wohl der letzte, von dem sich Wilhelm Peltzer beeinflussen lassen würde. Andererseits erinnerte Jakob sich plötzlich daran, daß Voß ihm gesagt hatte, der Bürgermeister wolle ihn sprechen. Eine vage Hoffnung keimte plötzlich in ihm auf. War es möglich, daß der Bürgermeister Sara lediglich benutzen wollte, um ihn zur Vernunft zu bringen? Würde er mit Peltzer verhandeln können? Sara wäre nicht die erste Person, die der Bürgermeister verhaften ließ, um seine Gegner in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wenn er Peltzer und seiner Sache die Treue schwor und Saras Einfluß |283| entsagte – würde Peltzer dann womöglich auf ihren Tod verzichten? Es war eine schwache Hoffnung, nicht mehr.
    Jakob erhob sich hastig. »Ihr habt recht. Ich werde zum Bürgermeister gehen.«
    »Glaubt Ihr, Ihr werdet ihn von Saras Unschuld überzeugen können?«
    »Und wenn es meine Seele kostet.« Jakob drückte dem Goldschmied tröstend die Hand und

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