Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Wilcke
Vom Netzwerk:
Formalität bedeutete, da Anna Ameldung unter der Folter ein Geständnis ihrer Schuld abgelegt hatte.
    Die Turmuhr der Katharinenkirche schlug zur dritten und bald darauf zur vierten Stunde des Tages. Jakob fröstelte. Die feuchte Herbstkälte machte seine Knochen schwer, doch er brachte es nicht über sich, diesen Ort zu verlassen. Es war, als ob eine starke Kraft ihn hier fesselte.
    Dann schließlich bemerkte er, daß die Tür des Wachthauses geöffnet wurde und drei Gestalten heraustraten. Jakob schlüpfte in einen dunklen Gassenwinkel und verbarg sich dort. Die Männer gingen geradewegs an ihm vorbei. Er erkannte Jobst Voß und zwei weitere Ratsherren. Voß schien verärgert zu sein. Er |279| rieb kräftig über den rechten Ärmel seiner schwarzen Kutte, der von einer glänzenden Flüssigkeit besudelt worden war.
    »Verdammt!« zischte Voß.
    Einer der Ratsherren klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. »Der Satan ist unberechenbar. Er bespuckt Euch mit dem Blut seiner Dienerinnen.«
    »Und da war ein hämisches Grinsen auf ihrem Gesicht. Selbst als der abgeschlagene Kopf auf den Boden gerollt ist, hat sie noch ihren Spott über uns ausgeschüttet«, meinte der dritte.
    »Möglich«, brummte Voß. »Aber vor allem ist dieser Raum einfach zu klein, um eine Hinrichtung durchzuführen. Als Verhandlungsraum mag er ja geeignet sein, aber …«
    Sie bogen in die nächste Straße ab, und ihre Stimmen verklangen. Ein heiseres Lachen entrang sich Jakobs Kehle. Er konnte es nicht unterdrücken, auch wenn es nicht angebracht war. Daß ausgerechnet Jobst Voß das Mißgeschick unterlaufen war, von Anna Ameldungs Blut besudelt zu werden, sah er beileibe nicht als Teufelswerk, sondern als Gerechtigkeit Gottes an.
    Doch dann verstummte Jakob abrupt, als er sah, wie der Knecht des Scharfrichters einen Karren vor die Tür des Wachthauses schob und zusammen mit seinem Meister den kopflosen Torso der Anna Ameldung aus dem Haus auf dem Karren trug. Ihr graues Kleid war bis zur Hüfte mit Blut befleckt. Kurz darauf brachte Matthias Klare einen Leinenbeutel aus dem Häuschen, den er neben den Torso legte. Jakob überlegte kurz, ob er aus der Dunkelheit hervortreten und ein paar Worte mit dem Scharfrichter wechseln sollte, aber der Anblick des Torsos und des Beutels, in dem sich ganz offensichtlich Anna Ameldungs Kopf befand, versetzte ihn einige Atemzüge lang in eine vollkommne Starrheit. Ihr Tod war zu einer unumstößlichen Wirklichkeit geworden, und plötzlich wurde ihm übel bei dem Gedanken, daß auch Sara ein solches Schicksal bevorstand.
    Matthias Klare und sein Knecht schoben den Karren davon. Jakob verharrte noch eine Zeitlang in seinem Versteck, faltete |280| die Hände und flüsterte ein Gebet für die Seele Anna Ameldungs, die, davon war er überzeugt, auf dem Weg in den Himmel war und das Fegefeuer nicht zu fürchten hatte.
    Er überlegte, was es für ihn nun zu tun gab, und fand keine Antwort auf diese Frage. Zu Sara konnte er nicht zurückkehren. Ohne die Hilfe des Scharfrichters würde man ihn nicht zu ihr lassen. Also lief er zunächst ziellos die Straße entlang, wobei er immer wieder einen Blick auf den im Dunkel verschwindenden Gefängnisturm zurückwarf. Er passierte die Vitischanze, das Hasetor und begab sich dann wieder in Richtung Markt. Am Domplatz bog er ab, wo im ersten Licht des neuen Morgens einige Handwerker auftauchten und mit den Vorbereitungen für den Gerichtstag begannen. Vor der Marienkirche wurde bereits das Podest des Scharfrichters aufgestellt, auf dem die alte Frau Modemann in wenigen Stunden ihr Leben lassen würde.
    Der Platz bedrückte ihn, daher ging er weiter in die Neustadt, wo die Menschen allmählich erwachten. Fensterläden wurden aufgeklappt, Nachttöpfe auf der Straße ausgeleert, und aus vielen Fenstern erschallten laute Stimmen und Kindergeschrei. Lediglich das Haus der Meddersheims wirkte so still, daß es fast schon unheimlich war.
    Er klopfte fest an die Eingangstür. Es dauert eine ganze Weile, ehe sie einen schmalen Spalt breit geöffnet wurde. Mina spähte heraus. Als das Mädchen ihn erkannte, lächelte sie scheu, nicht ganz so herzlich, wie er es von ihr kannte, aber warm genug, um ihm durch diese Geste sogleich ein wenig Trost zu schenken.
    »Darf ich eintreten, Mina?« fragte er.
    Sie runzelte die Stirn, als müsse sie ernsthaft abwägen, wie sie auf diese Bitte reagieren sollte. Dann schob sie die Tür auf und sagte: »Kommt rein, aber bitte nichts mehr kaputt

Weitere Kostenlose Bücher