Hexentage
sofort hinein winkte.
»Ist sie das?« fragte der Mann und deutete auf Agnes. »Ist das die Hebamme?«
»Hebamme?« Jakob zögerte.
»Rasch, rasch!« Der Mann drängte sie nach oben. Jakob stürmte die Treppen hinauf und ließ Agnes nicht los. Sie stolperte auf den Stufen, und er zog sie rüde auf die Beine.
»Laß mich los!« keifte sie, doch er kümmerte sich nicht um ihren Protest.
Endlich hatten sie das Stockwerk erreicht, auf dem Sara angekettet worden war. Jakob erschrak, als er sah, daß ihr Kleid unterhalb der Hüfte einen großen dunklen Fleck aufwies und daß sich auch auf dem Stroh eine Wasserlache ausgebreitet hatte.
Sara zitterte am ganzen Körper. Auf ihrer Stirn glitzerten dicke Schweißperlen.
»Es fängt an, Jakob! Es fängt an, das Kind kommt!« brachte Sara zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor und stemmte sich mit den Armen auf dem Boden ab.
Jakob gab die Hand seiner Braut frei und kniete sich neben Sara. Er strich über ihr verschwitztes Haar und versuchte sie zu beruhigen.
»Wurde die Hebamme benachrichtigt?« fragte er.
Sara nickte unter Schmerzen. »Einer … einer der Wachmänner wurde ausgeschickt, sie herbeizuschaffen.«
Agnes taumelte bis an die Wand zurück, hielt sich eine Hand vor die Nase und preßte die andere um ein silbernes Kreuz, das an einer Kette um ihren Hals hing.
»Oh, mein Gott.« Saras Anblick schien Agnes in Angst und Schrecken zu versetzen. »Oh, gütiger Himmel.«
Jakob nahm Saras Hand. »Halte durch, Sara. Du wirst es schaffen.«
»Laß von ihr ab, Jakob«, krächzte Agnes. »Sie ist verflucht.« Er bedachte Agnes nur mit einem verständnislosen Blick.
|289| »Du mußt dich entscheiden.« Agnes rang nach Luft. »Wenn du sofort diesen Ort mit mir verläßt, werde ich dir vergeben. Falls du bei der Hexe bleibst, wird meine Familie jeglichen Kontakt zu dir lösen und dich ächten. Was ist dir wichtiger, deine Zukunft oder diese sterbende Hure?«
Niemals zuvor in seinem Leben war ihm eine Entscheidung leichter gefallen. Er schaute Agnes einen Moment lang stumm an, dann sagte er ungerührt: »Lebewohl, Agnes.«
Ihre Augen funkelten ihn wütend an, dann drehte sie sich wortlos um und stürmte die Treppe hinab. Jakob kümmerte ihr Zorn nicht. Nur eines war nun noch für ihn von Belang: Sara und das Leben ihres Kindes zu retten.
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Kapitel 28
Die Hebamme traf etwa eine halbe Stunde später im Bucksturm ein. Sie war eine korpulente Frau von Mitte Vierzig, die einen so gewaltigen Busen vor sich her trug, daß man annehmen konnte, sie hätte jedem Kind, dem sie auf die Welt geholfen hatte, selbst die Brust gegeben. Sie stellte ihre Ledertasche auf dem Boden ab, hockte sich neben Sara und wies den Wachmann, der sie hereingeführt hatte, barsch an: »Hol eine Schüssel Wasser und mach es über den Kohlen warm. Aber bring es nicht zum Kochen, das arme Kind soll sich schließlich nicht verbrühen.«
Der Wachmann nickte eifrig und war augenscheinlich froh, den Raum verlassen zu dürfen.
»Endlich, Frau Eversmann«, keuchte Sara. »Ich hatte schon befürchtet, Ihr würdet nicht kommen.«
»Weil man Euch in den Kerker gesperrt hat? Gute Frau, das wird mich nicht zurückhalten. Euer Kind trägt ja keinen Anteil an Eurem Unglück.«
|290| Dann faßte die Hebamme Jakob ins Auge. »Und was wollt Ihr noch hier?« fragte sie.
»Vielleicht kann ich von Hilfe sein«, erwiderte er kleinlaut.
»Ihr Männer seid mir bei einer Geburt nicht von Nutzen. Also verschwindet. Das hier ist Frauensache.«
Jakob wollte ihr widersprechen, doch Sara kam ihm zuvor. »Ich will, daß er bleibt«, stieß sie zwischen zwei heftigen Wehen hervor.
»Gut, wenn Ihr meint.« Die Hebamme ließ ihren Blick durch den düsteren Kerker streifen. »Barmherzige Mutter, das hier ist doch kein Platz, um Kinder zu gebären. Nicht einmal einer Sau würde ich es zumuten, in solch einem Dreckloch die Ferkel zu werfen.«
»Sagt das dem Bürgermeister«, schlug Jakob vor.
Die Frau lächelte plötzlich. »Peltzer würde wohl kaum auf mich hören.« Sie öffnete ihre Tasche und packte eine Schale mit Schweinefett, verschiedene Phiolen, einen Tonkrug, saubere Tücher sowie eine Schere, Wachsfaden und Haken aus. Jakob schauderte es beim Anblick dieser Haken. Sie erinnerten ihn an die Folterinstrumente des Scharfrichters, auch wenn sie nur dazu benötigt wurden, um im schlimmsten Fall ein totes Kind aus der Gebärmutter zu ziehen.
»Wann haben die Wehen eingesetzt?«
»Vor mehreren
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