Hexentage
Sie wird sich Eurer Tochter als Amme annehmen.«
Sara klammerte ihre Tochter verzweifelt an sich. »Nein, ich werde Anna nicht hergeben.«
»Sara«, meinte Jakob, »wenn Anna leben soll, dann darf sie nicht in die Hände des Bürgermeisters gelangen. Er muß glauben, daß sie tot ist, und wenn wir sie vor ihm verstecken, dann ist sie in Sicherheit.«
Sara strafte ihn mit einem trotzigen Blick, begriff aber, daß dies der einzige Ausweg war. »Gut, Meister Klare, ich werde Euch meine Tochter anvertrauen. Jakob soll sich davon überzeugen, daß Ihr Euer Versprechen haltet.« Sie winkte Jakob kraftlos an ihr Ohr. Er beugte sich hinab, und sie flüsterte: »Ich weiß, ich verlange sehr viel von dir, aber bitte kümmere dich um Anna. Wenn sie älter ist und verstehen kann, was mit ihrer Mutter geschehen ist, dann berichte ihr davon, was sich in dieser Stadt zugetragen hat. Bitte versprich mir das.«
|296| Jakob drückte aufmunternd Saras Hand. Sie war eiskalt. »Ich werde immer für Anna da sein.«
Sara hob das Kind hoch, küßte es auf die Stirn und streckte es dem Scharfrichter entgegen. »Nehmt sie.«
Klare nahm das Kind auf den Arm. Er wirkte verlegen. Jakob stand auf und preßte seinen Rücken an die harte Steinwand. Sara so leiden zu sehen zerriß ihm schier das Herz. Er drehte sich um und hämmerte verzweifelt mit der Faust gegen den Stein. Wieder und wieder, bis seine Hand vor Schmerz zu zerspringen schien. Dabei verfingen sich seine Finger in einem Spinnennetz.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
Spinnen.
Verdammt, ja – Spinnen!
Es war eine tollkühne Idee und zugleich gefährlich, doch was hatte er noch zu verlieren?
»Sara, vielleicht gibt es noch eine Hoffnung«, sagte er aufgeregt.
Sie runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
»Wärest du bereit, dein Leben aufs Spiel zu setzen für eine geringe, eine äußerst geringe Möglichkeit, deine Freiheit zurückzuerlangen?«
Sie brauchte nicht zu überlegen. »Natürlich. Im Grunde bin ich doch schon so gut wie tot.«
»Es kann gelingen«, raunte Jakob und wandte sich an den Scharfrichter. »Meister Klare, bringt das Kind zu der Amme und wartet dann an der Marienkirche auf mich.«
»Was habt Ihr vor?«
»Ich werde versuchen, Sara aus dem Kerker zu befreien.«
»Kein Angeklagter kann dieses Gefängnis verlassen. Es sei denn, man trägt ihn als Leiche heraus.«
»Ihr habt recht, Meister Klare. Und genau aus diesem Grund muß Sara sterben.«
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|297| Kapitel 29
Georg Meddersheim hockte mit trüber Miene in seiner Werkstatt, wo er lustlos ein Trinkgefäß mit dem Ziselierwerkzeug bearbeitete, als Jakob ihn aufsuchte. Der Schmelzofen war wieder angeheizt worden und sorgte für eine drückende Hitze in der Diele.
Meddersheim betrachtete mürrisch das Gefäß und stellte es zurück auf die Werkbank.
»Es will mir einfach nicht gelingen, die Ornamente so zu gestalten, wie ich es mir vorstelle«, klagte er. »Wenn einem das Herz schwer ist, sind auch die Finger wie gelähmt.«
»Vielleicht erleichtert es Euer Herz, zu hören, daß Eure Tochter ein gesundes Mädchen auf die Welt gebracht hat.«
Meddersheim stand abrupt auf. Von seiner Schürze rieselte ein feiner goldener Regen auf den Boden. »Ein Mädchen? Wann ist es geboren worden? Und wie geht es Sara?«
Jakob hätte Meddersheim gerne alle Fragen ausführlich beantwortet, auch weil er sah, wie viel Kraft der Goldschmied in dieser schweren Zeit daraus schöpfte, aber er war nicht nur gekommen, um Saras Vater diese Nachricht zu überbringen, sondern vor allem, weil er noch immer vorhatte, Saras Schicksal nicht einfach hinzunehmen. Er teilte Georg Meddersheim zunächst die nötigen Einzelheiten mit und kam dann schnell auf seinen Plan zu sprechen.
»Das Mädchen wurde vor wenigen Stunden geboren. Zum Glück konnte die Hebamme noch rechtzeitig verständigt werden. Nach der Geburt habe ich das Kind dem Scharfrichter Matthias Klare anvertraut, der es in die Obhut einer Amme geben will.«
»Dem Scharfrichter?« fragte Meddersheim voller Argwohn. Er schien keine gute Meinung von Matthias Klare zu haben.
»Wir können ihm vertrauen. Er wird dem Rat gegenüber behaupten, das Kind sei tot, so daß es niemandes Interesse mehr erweckt.«
|298| »Ich möchte das Kind sehen.«
»Geduldet Euch bitte, Meister Meddersheim, Eurer Enkelin geht es gut, glaubt mir. Meine Sorge gilt nun viel mehr Sara.«
»Wie hat sie die Geburt überstanden?«
Jakob seufzte. »Im Grunde verlief alles reibungslos,
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