Hexentage
Stunden.«
»Dann wollen wir die Angelegenheit etwas beschleunigen.« Die Hebamme faßte Saras Arm und zog sie auf die Beine.
Jakob half Sara dabei, sich stöhnend aufzurichten. Sie stützten Sara, nahmen sie in ihre Mitte und liefen mit ihr eine Weile im Kreis durch den Raum. Die nächste heftige Wehe setzte ein, und Sara sackte mit einem Schrei auf die Knie. Als die Schmerzwelle vorüber war, wiederholten sie die Prozedur. Tatsächlich setzte die nächste Wehe bereits nach wenigen Augenblicken ein. Noch einmal mußte Sara auf und ab marschieren, dann befand die Hebamme, daß es genug war, und sie setzten Sara auf das Stroh.
|291| »Jetzt wird es nicht mehr lange dauern«, meinte die Eversmann. Sie wandte sich zur Treppe und keifte nach unten: »Wo bleibt das verdammte Wasser?« Mit grimmiger Miene wies sie Jakob an: »Kniet Euch hinter Sara und stützt sie ab. Das wird ihr beim Pressen helfen.«
Jakob tat wie ihm geheißen. Die Hebamme löste den Korken aus dem Tonkrug und reichte ihn Sara. »Trinkt den Branntwein. Er wird Eure Schmerzen lindern, aber nehmt nur einen kleinen Schluck, ich brauche Euch bei klarem Verstand.« Sie hockte sich vor die gespreizten Beine und hob Saras Röcke an. Zunächst befühlte sie die Bauchdecke, unter der sich bereits eine deutliche Verformung abzeichnete.
»Der Kopf liegt unten. Das ist gut …« Die Hebamme wartete die nächste Wehe ab. »Preßt! Preßt kräftig!«
Saras Atem ging stoßweise. Der Schweiß auf ihrer Stirn glänzte im Fackelschein, als sie ihre ganze Kraft einsetzte, das Kind aus ihrem Schoß zu pressen.
Die Hebamme hatte inzwischen ihre rechte Hande mit dem Schweinefett eingerieben und ließ sie vorsichtig in Saras Vagina gleiten.
»Ich kann den Kopf fühlen.«
Eine heftige Wehe ließ Saras gesamten Körper erzittern. Ihr Wimmern ging in einen Schrei über. Genau in diesem Moment erschien der Wachmann mit dem Wasser und zuckte noch am Treppenabsatz erschrocken zusammen. Er stellte die Schale eilig ab und suchte schleunigst das Weite.
Frau Eversmann tauchte eines der Tücher ins Wasser und wischte die Vulva ab. Jakob bekam eine Gänsehaut, als er das blutdurchtränkte Tuch sah, das die Hebamme zur Seite legte.
»Preßt stärker! Jetzt!« verlangte sie und zerrte an dem zerbrechlichen Körper des Kindes, daß es Jakob ganz übel wurde. Saras Finger umklammerten seine Hände, als sie stöhnend und keuchend ihre letzten Kräfte aufbrachte.
|292| »Es ist schon halb heraus. Noch einmal!«
Die Adern auf Saras Stirn traten so deutlich hervor, als würden sie jeden Moment zerplatzen. Dann, nach drei weiteren, heftigen Wehen war es geschafft. Die Hebamme hielt ein blutverschmiertes Kind in den Händen, das schon im nächsten Augenblick einen kräftigen schrillen Schrei hervorstieß. Sara sank in Jakobs Schoß entkräftet zusammen.
Mit dem Wachsfaden wurde die Nabelschnur abgebunden und von der Hebamme durchschnitten. Sie säuberte das Kind mit den nassen Tüchern, tupfte es trocken und sagte: »Es ist ein Mädchen – ein wunderschönes Mädchen.«
Sie reichte es Jakob, der sich neben Sara kniete und den Säugling vorsichtig in ihre Arme legte. Das Baby protestierte noch immer kräftig, als ahnte es, daß man es aus dem schützenden Mutterleib in eine grelle und feindselige Welt hinaus gestoßen hatte.
Warum konntest du nicht als Junge geboren werden?
dachte Jakob .
Du würdest es leichter auf dieser Welt haben.
Sara betrachtete das kleine Bündel mit stolzen, glänzenden Augen, öffnete ihr Hemd und legte das Kind an die Brust. Augenblicklich verstummte es, umfaßte mit dem kleinen Mund die Brustwarze und begann instinktiv daran zu saugen. Das harmonische Bild rührte Jakob. Es war eine trügerische Idylle, aber er genoß diesen besonderen Moment trotz allen Ungemachs.
»Meine Anna, meine liebe kleine Anna.« Sara strich dem Baby liebevoll mit einer Fingerkuppe über den Hinterkopf und blickte Jakob traurig an. »Ich werde sie nicht aufwachsen sehen, und ich werde nie erleben, wie sie sprechen und laufen lernt. Nicht einmal ein Lachen von ihr werde ich mitbekommen.« Leise begann sie zu weinen.
»Bitte beruhige dich«, versuchte Jakob sie zu besänftigen, aber er wußte nicht, wie er ihr Mut machen sollte. Im Grunde hatte Sara recht. Sie wurde der Hexerei beschuldigt, und dies kam in einer Stadt wie Osnabrück einem Todesurteil gleich.
|293| Nachdem die Hebamme die Nachgeburt abgewartet hatte, reinigte sie Saras Unterleib und tupfte ihre Vulva mit
Weitere Kostenlose Bücher