Hexentage
Wahrhaus begann heftig zu husten, als sie vor ihrem Richter stand.
Das feiste Gesicht des Gografen verriet wenig Interesse an dieser Angelegenheit. Jakob vermißte in seinen verquollenen Augen den flammenden Eifer, mit dem ihn Wilhelm Peltzer am gestrigen Abend mühelos in den Bann gezogen hatte.
Als der Gograf sich an die Menge wandte, strengte er seine Stimme nicht allzu sehr an. Jakob vermutete, daß nur die ersten Reihen der Schaulustigen verstehen konnten, daß er dieses Halsgericht für eröffnet erklärt hatte.
»Wen hast du als deinen Prokurator bestimmt, Weib?« wollte der Gograf von der Angeklagten erfahren. Die Frau antwortete nicht darauf und vermied jeden Augenkontakt mit dem Gografen.
» Ich
werde die Rechte der Angeklagten vertreten«, meldete sich ein hagerer, hochaufgeschossener Mann zu Wort, der soeben die Treppe hinaufgestiegen war.
|57| Der Richter nahm dies zufrieden zur Kenntnis und nickte dem Stadtdiener auffordernd zu, der inzwischen neben den Schöffen Platz genommen hatte. Der Stadtdiener, der in diesem Prozeß als Ankläger fungierte, erhob sich und forderte: »Laßt die Vergicht der Angeklagten verlesen.«
Ein weiterer Mann trat herbei, brach ein versiegeltes Dokument auf und trug mit kräftiger Stimme das Schuldbekenntnis vor, das die vermeintliche Hexe vor den Peinkommissaren abgelegt hatte.
»Ich, Grete Wahrhaus, Witwe des Drechslers Alfred Wahrhaus, wohnhaft zu Osnabrück, bekenne vor Gott, den heiligen Sakramenten abgeschworen und mein Leben dem Teufel mit Leib und Seele überlassen zu haben. Ich empfing die satanische Taufe und wurde in die bösen Künste eingeweiht. Ich stellte Salben her, durch deren zauberische Wirkung es mir möglich war, auf einer Mistgabel durch die Luft zu fahren, um zu den Versammlungen und Tänzen der Hexen in den Wäldern um Münster zu gelangen. Aus boshafter Niedertracht stellte ich verhextes Kraut her, daß ich meinen Verwandten und Nachbarn ins Essen mischte, um ihre Körper bis zum Tode auszehren zu lassen. Ich vollzog die sodomitische Sünde mit Hunden und Ziegenböcken und verhexte zudem das Wetter, auf daß Reif und Kälte das Getreide auf den Feldern verdarb. Ferner unterwies ich fünf weitere Frauen in der Kunst der Hexerei, damit sie das Werk des Satans in die Welt tragen und der Christenheit Schaden zufügen sollten. Beurkundet und ratifiziert am 2. September im Jahr des Herrn 1636 zu Osnabrück.«
Der Vorleser klappte sein Papier zusammen und zog sich in den Hintergrund zurück. Die Auflistung dieser Untaten ließ die Menge einige Momente lang in betretenes Schweigen verfallen. Dann erhob sich noch einmal der Stadtdiener und bedachte die Bürger mit einem trotzigen Blick, der ihnen wohl sagen sollte, daß es nun an ihm war, Gerechtigkeit für diese Verbrechen einzufordern.
|58| »Wir alle haben das Geständnis der Angeklagten vernommen«, wandte sich der Ankläger an den Richter. »An der schweren Schuld dieser Frau besteht kein Zweifel. Sie hat sich der schändlichsten Verbrechen gegen Gott strafbar gemacht und seinen Namen entweiht. Ihre vom Satan verliehene Zauberkraft verwandte die Hexe dazu, die Bürger dieser Stadt an Körper und Geist zu schädigen. Nach Gottes heiligem Wort und unter Berufung auf den Artikel 109 der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. beantrage ich, diese Frau mit dem Tode abzustrafen und ihre Seele im Feuer reinzuwaschen.«
Vereinzelte zustimmende Rufe aus der Menge begleiteten den Strafantrag. Der Gograf ließ mit einer Handbewegung Ruhe einkehren und deutete mit seinem Gerichtsstab auf den Prokurator.
»Möchtet Ihr einen Einwand dagegen vorbringen, Herr Defensor?«
Demütig senkte der Prokurator den Kopf und trat vor. »Eh renwertes Gericht, es steht mir nicht zu, die Schuld dieser Frau anzuzweifeln. Allerdings weise ich darauf hin, daß die Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgelegt hat und sich geläutert zeigt. Ich bitte Euch darum, diesen Umstand zu berücksichtigen und in Eurem Urteil angemessene Milde walten zu lassen.«
Der Richter nahm die Bitte des Verteidigers mit einem sachlichen Nicken zur Kenntnis, musterte die Angeklagte einen Augenblick lang und erhob sich dann, um das Urteil zu verkünden.
»Demnach die Angeklagte sich bußfertig zeigt und vor den Herren Kommissaren ihre Sünden bekannt hat, ist es das Urteil dieses Gerichtes, daß die Angeklagte zum Tode durch das Schwert zu begnadigen sei.«
Die Menge bekundete lautstark ihre Zustimmung und streckte der Hexe drohend ihre
Weitere Kostenlose Bücher