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Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Wilcke
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Fäuste entgegen. Grete Wahrhaus rührte sich kaum, doch Jakob bemerkte, daß sie mit müden Augen verstohlene furchtsame Blicke in die haßerfüllte Meute warf, die ihren Tod forderte.
    |59| Das Urteil war keine Überraschung. Schließlich war der Scharfrichter mit seinem Schwert bereits vor dem Richter auf dem Marktplatz erschienen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, einen Reisighaufen für eine öffentliche Verbrennung zusammenzutragen. Ein Feuertod bei lebendigem Leib galt als unangemessen qualvoll und wurde nur bei Sündern angewandt, die dem Teufel auch nach Ablegung ihres Geständnisses nicht entsagten.
    Während die Hexe zum Scharfrichter geführt wurde, ließ Jakob seinen Blick über die umstehenden Zuschauer wandern. Seltsamerweise waren es vor allem die ärmeren Bürger, die dieser Frau aus ihrem Stande die wüstesten Verwünschungen und Flüche entgegen schleuderten. Jakob spürte ein Unbehagen in diesem Meer der Emotionen, das Welle um Welle durch die Reihen der Schaulustigen schwappte. Es war wohl das eigene Elend dieser Leute, das den unbändigen Zorn hervorrief – das Wissen, daß diese Frau sich einer teuflischen Macht verschrieben hatte, die sich von der Not der Menschen nährte.
    Und doch fiel ihm inmitten dieser nach Blut dürstenden Menge plötzlich das Gesicht einer jungen Frau auf, die der Hinrichtung überhaupt kein Interesse zu schenken schien.
    Statt dessen schaute sie ihm direkt in die Augen.
    Sie befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes, wohl einhundert Schritte von ihm entfernt. Unter dem straff gespannten Stoff ihres Kleides war unübersehbar eine vorangeschrittene Schwangerschaft zu erkennen. Jakob erwiderte einen Moment lang ihren Blick. Die Umstehenden nahmen wenig Rücksicht auf die Schwangerschaft dieser Frau und rempelten sie rüde an, so daß sie nach links und rechts gedrängt wurde. Sie störte sich allerdings nicht daran, sondern starrte weiter in Jakobs Gesicht, als gäbe es dort etwas Außergewöhnliches zu entdecken. Ihre Blicke machte ihn verlegen. Er löste den Augenkontakt und verfolgte nun wieder das Geschehen auf dem Richtplatz.
    Grete Wahrhaus hatte sich in die Mitte des Podestes gekniet, die Hände gefaltet und begonnen, laut das Vaterunser zu sprechen. |60| Gewohnheitsmäßig sprach Jakob das Gebet leise mit, allerdings nicht auf deutsch, sondern auf Latein, wie es ihm geläufiger war.
    »Pater noster qui es in coelis, sanctificeum nomen tuum, adveniat regnum teum …«
    Die plötzliche Hinwendung der Angeklagten zu Gott brachte die Zuschauer nur noch mehr in Rage. Immer mehr Kehlen forderten den Scharfrichter auf, dem Leben der Hexe ein Ende zu setzen. Ein Priester trat an die Frau heran, schlug mit der Hand das Kreuz über sie und ließ sie ein Kruzifix küssen, während er ihre Seele dem Herrn empfahl. Danach gab der Gograf dem Scharfrichter ein Zeichen, das Urteil zu vollstrecken.
    Der kräftige Henker hob das schwere Schwert so behende an, als wäre es aus Holz und nicht aus Stahl gefertigt, machte einen Schritt auf die Hexe zu und holte in weitem Bogen aus. Die Menge verstummte abrupt. Einzig das Pfeifen des Schwertes, als es durch die Luft fuhr, und das Durchtrennen des Halses, ein Geräusch, das Jakob an das Reißen von Leinenstoff erinnerte, waren zu hören. Der Scharfrichter schlug das Haupt in einem kräftigen, schnellen Schlag vom Rumpf der Frau. Der Kopf fiel auf das Holz und rollte über den Rand auf das Pflaster bis vor die Füße der Schaulustigen. Zuckend sackte der Körper in sich zusammen. Das Blut, das aus dem Hals pulsierte, spritzte bis in die ersten Reihen der Umstehenden, die aufkreischten und so eilig zurückwichen, als fürchteten sie, vom Teufel selbst besudelt zu werden. Der Rest der Menge jubelte und lachte. Einige Kinder rannten auf den Kopf zu, berührten kichernd das Haar oder das Gesicht und machten sich rasch wieder davon.
    Der Tod fasziniert uns mehr als das Leben,
überlegte Jakob und bemerkte im selben Moment, daß die Frau, die ihm die auffälligen Blicke zugeworfen hatte, verschwunden war.
    Kaum war die Hinrichtung vorüber, brachen die Menschen in alle Richtungen auf und kehrten an ihre Arbeit zurück.
    Wilhelm Peltzer bedeutete Jakob und Laurentz, ihm zu folgen.
    |61| »Eine Hexe weniger auf Erden«, meinte er zufrieden. »Nun wollen wir uns um die nächsten verlorenen Seelen kümmern.«
    »Was geschieht mit der Leiche?« fragte Jakob, während er hinter Peltzer herlief und den Männern und Frauen auswich,

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