Hexentage
Händen zu halten. In |52| Laurentz’ Bücherbestand war er zu seinem Verdruß nicht fündig geworden, und er hatte schon geglaubt, warten zu müssen, bis er Zutritt zur Bibliothek der Universität Rinteln bekam.
»Es quälen Euch viele Fragen, nicht wahr?« vermutete Peltzer. »Gestern abend wart Ihr zunächst so still, daß ich schon annahm, Ihr würdet Eure Zunge nur benutzen, um Euch nach dem Mahl das Fett von den Lippen zu lecken. Doch als wir auf Hexen und Zauberei zu sprechen kamen, wurden Eure Augen und Eure Zunge überraschend lebendig.«
Jakob nickte eifrig. »Ihr habt Recht. Momentan ist mein gesamtes Denken auf das Ziel ausgerichtet, gegen die Mächte des Teufels zu kämpfen. Und natürlich habe ich dazu viele Fragen.«
»Dann nutzt die Zeit hier in Osnabrück und studiert dieses Buch. In ihm werdet Ihr die Antworten finden, nach denen es Euch verlangt, denn es stellt die Summe aller Erfahrungen zu diesem Thema dar.«
Jakob strich ehrfürchtig mit den Fingern über das Papier. Er betrachtete diese Offerte Peltzers als besondere Ehre und Auszeichnung.
»Eine Frage möchte ich Euch jetzt dennoch stellen, wenn Ihr gestattet«, sagte Jakob. »Fürchtet Ihr Euch nicht davor, von der Zauberei betroffen zu werden? Als Streiter gegen die Kräfte des Bösen wäret Ihr das erklärte Ziel für einen Schadenszauber.«
Peltzer warf einen Blick auf das Holzkruzifix. »Warum sollte ich mich sorgen, wenn ich weiß, daß die schützende Hand einer höheren Macht über mich wacht? Mein Werk ist rein.« Der Bürgermeister legte Jakob eine Hand auf die Schulter und beugte sich näher an sein Ohr. Er sprach im Flüsterton weiter, als befürchte er, ein unsichtbarer Dämon könne sie belauschen.
»Jakob, ich bin überzeugt davon, daß gewisse Menschen eine Bestimmung von Gott erhalten. Ohne ihr Werk wäre diese Welt dem Bösen schutzlos ausgeliefert. Ich bin mir allerdings auch bewußt, daß wir den Teufel niemals endgültig vernichten können. Er wird ewig existieren, so wie Gott für alle Zeit mit uns |53| ist. Doch wir Juristen haben von Gott die Aufgabe erhalten, seine abgefallenen Kinder dazu zu bewegen, ihre Sünden vor ihm zu bekennen und zu bereuen, auf daß ihre Seelen vor der ewigen Verdammnis errettet werden können.«
Für Jakob bestand keine Zweifel daran, daß Peltzer sich selbst mit einbezog, wenn er über die von Gott erwählten Menschen sprach. Doch ebenso gab es andere, die von einem Fluch belastet wurden, den der Teufel auf sie gelegt hatte, ohne, daß sie sich etwas zu Schulden hatten kommen lassen. Jakob mußte an den Schatten auf seiner eigenen Seele denken. Würde er eines Tages seine ganz persönliche Beichte ablegen müssen? War Peltzer der richtige Mann dafür?
»Ihr macht auf mich den Eindruck, als bedrücke Euch etwas«, meinte der Bürgermeister.
»Es ist nichts«, wiegelte Jakob ab. Nein, er war noch nicht bereit für eine Beichte. »Ich mußte nur an die armen Seelen denken, die nicht ahnen, was sie durch die Verlockungen des Satans aufs Spiel setzen.«
Peltzers Augen verengten sich, und Jakob war sich nicht sicher, ob er seine kleine Notlüge durchschaut hatte.
»Versucht noch ein wenig Schlaf zu finden, Jakob. Morgen werdet Ihr einen äußerst interessanten Tag erleben.«
Es bekümmerte Jakob, daß er sich nicht bereits in dieser Nacht mit dem
Malleus maleficarum
befassen konnte, aber er würde ja noch einige Tage Zeit haben, und Peltzer hatte zudem Recht: Morgen würde er der Hinrichtung einer Hexe beiwohnen und zum ersten Mal in seinem Leben leibhaftigen Zauberern gegenüberstehen. Später dann würde er sich ausgiebig Peltzers außergewöhnlichem Studierzimmer widmen.
Jakob wünschte dem Bürgermeister eine gute Nacht und zog sich zurück. Als er wieder in seinem Bett lag und in die Dunkelheit starrte, war er so aufgeregt, daß er immer noch nicht schlafen konnte, aber zumindest beruhigte ihn die Gewißheit, daß er auf die Gunst Wilhelm Peltzers zählen durfte.
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|54| Kapitel 6
Wie alle schweren und todeswürdigen Straftaten wurde auch das Verbrechen der Hexerei in Osnabrück vor dem bischöflichen Gogericht – dem alten sächsischen Volksgericht – entschieden. Dieses Gericht, das auf der Treppe des Altstädter Rathauses tagte, wurde vom Gografen und zwei Mitgliedern des Rates einberufen, die als Schöffen fungierten.
Jakob Theis und Johann Albrecht Laurentz fanden sich gegen zehn Uhr am Rathaus ein, um der Verurteilung und Hinrichtung der Hexe Grete Wahrhaus
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