Hexentage
und fragte sich, ob er selbst eine solche Tortur überstanden hätte. In diesem Kasten hatte der Graf nicht einmal aufrecht stehen können. Der Frost in den Winternächten und die undurchdringliche Dunkelheit mußten schier unglaublich an seinen Kräften gezehrt haben. Wie konnte ein Mensch über Jahre solche Entbehrungen ertragen, ohne dem Wahnsinn anheimzufallen?
»Entsprechen die Geschichten über den Grafen von Hoya der Wahrheit?« fragte Laurentz seinen Gastgeber.
»Ihr seht den Beweis vor Euch«, entgegnete Peltzer. »Man sagt uns Osnabrückern nach, wir wären stur und konsequent. Nicht zu Unrecht, wie ich meine.«
Sie stiegen eine weitere Treppe hinauf und gelangten in das eigentliche Hexengefängnis. Ein widerwärtiger Geruch schlug Jakob entgegen. Da in diesem Raum nur drei winzige Scharten eingelassen waren, konnte der Gestank auch kaum entweichen. Zwei Pechfackeln spendeten ein flackerndes Licht, das unheilvolle Schatten an die Wände warf. Das trübe Licht reichte |64| gerade aus, um Jakob zwei klägliche Gestalten, einen Mann und eine Frau, erkennen zu lassen. Die beiden Gefangenen lagen nur mit schmutzigen Hemden aus Sackleinen bekleidet auf dem Boden. Ihre Füße waren mit Ketten an gußeisernen Ringen befestigt, die man in die Wand eingelassen hatte.
Als die Männer sich näherten, zuckten die Köpfe der Gefangenen herum. Jakob starrte in zwei von Verzweiflung und Entbehrung gezeichnete Augenpaare, die aus den aschgrauen, ausgezehrten Gesichtern hervorstachen.
»Diese beiden interessieren uns nicht.« Peltzer winkte seine Begleiter zum nächsten Treppenaufgang an der gegenüberliegenden Seite. »Laßt uns ein Stockwerk höher gehen. Dort wurden die Frauen untergebracht, die fälschlich darauf vertraut haben, daß ihr geschätzter Familienname und ihr edler Stand sie vor den Konsequenzen ihrer Untaten schützen.«
Der nächste Raum glich dem ersten Verlies. Zwei angekettete Frauen kauerten auf einer dünnen Lage Stroh, durch das ein halbes Dutzend Mäuse und anderes Ungeziefer hastig davonhuschte. Auch hier lag der beißende Gestank von Kot und Urin so schwer und drückend in der Luft, daß Jakob eilig ein Tuch hervorzog, um es vor Mund und Nase zu pressen.
Die beiden Frauen setzten sich stöhnend auf, soweit ihnen das unter der Last ihrer Ketten möglich war. Die rechte mochte um die vierzig sein, ihre Augen verrieten Furcht und Unsicherheit. Anders die Frau links neben ihr. Obwohl sie sich bereits im Greisenalter befand, wirkte sie weitaus kräftiger als ihre Leidensgenossin.
»Schau an, der Bürgermeister Peltzer«, höhnte die Alte. »Jetzt erkenne ich Euch. Im ersten Moment nahm ich an, der Antichrist persönlich käme in meine Gemächer. Aber wenn ich es mir recht überlege, macht das ja keinen großen Unterschied.«
Die Miene des Bürgermeisters verfinsterte sich. »Haltet Eure böse Zunge im Zaum, Frau Modemann.«
Die Alte ließ sich nicht verunsichern. »Ihr seid des Teufels, |65| Peltzer. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre wirklich eine Hexe, denn dann würde ich keinen Atemzug zögern, Euch die Pest in den Leib zu zaubern und Euch verfaulen zu lassen.« Um ihre Drohung eindrucksvoll zu unterstreichen, fuchtelte die Modemann mit den Händen beschwörend in der Luft, spuckte vor Peltzer aus und lachte gackernd.
»Das Wasser der Hase wird Euch schnell zum Schweigen bringen, Weib«, entgegnete der Bürgermeister. »Nachdem Ihr geschwommen seid, werdet Ihr bußfertig vor den Füßen der Peinkommissare kriechen und den Tag verfluchen, an dem Ihr Eure Seele dem Teufel verschrieben habt.«
»Pah!« Die Alte gab sich unbeeindruckt.
Peltzer wandte sich an Laurentz. »Es ist erschreckend, wie tief der Teufel den Haß in diese Frau gepflanzt hat. Vor wenigen Wochen noch war sie eine ehrbare Bürgerin aus angesehenem Hause, zudem die Mutter meines Amtsvorgängers Modemann. Selten zeigt sich die Fratze des Satans so deutlich wie in dieser Person.«
»Hört auf, einen solchen Unsinn von Euch zu geben!« schimpfte Frau Modemann. Sie klaubte eine Handvoll Stroh zusammen und hielt es Peltzer entgegen. »Sonst stopfe ich Euch damit das Maul.«
»Schweigt! Ihr macht alles nur noch schlimmer«, mischte sich die andere Frau ein. Jakob vermutete, daß sie Anna Ameldung sein mußte. Die Apothekersfrau hockte auf einem grauen Mantelstoff, dessen Borte mit goldenen Stickereien versehen worden war – eine elegante Verzierung, die in dieser bedrückenden Umgebung völlig fehl am Platz wirkte. Jakob
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