Hexentage
stellte sich vor, wie ihr Gesicht wirken mußte, wenn sie nicht schon viele Tage in einem Kerker gehockt, sondern in ihrer Apotheke gestanden hätte. Ihre Gesichtszüge waren scharf geschnitten, aber dennoch voller Anmut, umrahmt von langem braunen Haar, das jedoch strähnig und verfilzt an ihrem Kopf klebte. Vor ihrer Verhaftung mußte sie eine attraktive Frau gewesen sein.
|66| »Ihr solltet auf die Ameldung hören«, meinte Peltzer in Richtung der streitbaren Alten.
»Und wenn schon, schlimmer kann es doch gar nicht mehr werden.« Frau Modemann verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
Jakob mußte daran denken, daß diese dem Satan anheimgefallenen Seelen schon bald in den Flammen der Hölle brennen würden. Aber konnte solch eine Verdammnis schrecklicher sein als das wochenlange Dahinvegetieren in diesem stinkenden Kerker?
Ihm fiel auf, daß Anna Ameldung ihn beobachtete, ja, es schien ihm sogar, als könne sie seine mitleidsvollen Gedanken erraten.
»Betet für uns, junger Herr«, sagte sie leise zu ihm.
Jakob nickte verlegen. Er bemerkte, daß die Kette am Fuß der Frau eine offene Wunde hinterlassen hatte. Die Wunde hatte sich übel entzündet und eiterte.
»Ihr habt Fieber«, sagte Jakob, als er den Schweiß auf ihrer Stirn registrierte. Er wandte sich zu Peltzer um und fragte: »Müßte der Fuß dieser Frau nicht von einem Arzt behandelt werden?«
»Sie wird nicht an dieser unbedeutenden Wunde, sondern durch das Schwert des Scharfrichters sterben«, entgegnete Peltzer kühl. Anna Ameldung wandte bei seinen Worten den Kopf zur Seite und weinte leise.
Jakob trat zurück und schwieg betroffen.
»Mehr Hexen und Zauberer werdet Ihr heute nicht zu sehen bekommen, Jakob«, sagte Peltzer.
Laurentz deutete zu einer weiteren Treppe und fragte: »Wo hin führen diese Stufen?«
»In das oberste Stockwerk, wo das peinliche Verhör durchgeführt wird. Im Moment gibt es dort aber nichts zu sehen.«
»Laßt uns bitte den Turm verlassen«, bat Jakob. »Ich bekomme kaum noch Luft.«
»Das ist der Gestank des Teufels, Junge.« Peltzer lachte und klopfte Jakob aufmunternd auf den Rücken.
|67| Sie stiegen die Treppe hinunter bis in das Stockwerk, in dem sich die Wachmannschaft aufhielt. Froh, dem düsteren Kerker entkommen zu sein, tupfte Jakob sich mit seinem Tuch das Gesicht ab.
»Ihr schaut bleich aus. Hier, nehmt einen Schluck Branntwein!« Eine der Wachen hielt Jakob die Flasche hin.
Jakob lächelte verlegen und lehnte ab. Er war nie ein Freund von Branntwein gewesen.
Die Tür öffnete sich, und die vierschrötige Gestalt des Scharfrichters trat ein. Er stellte sein blutbeflecktes Schwert an der Wand ab und bedachte die Gäste mit einem mürrischen Blick.
»Diesen Mann hier haben Sie ja schon bei seiner Arbeit beobachten können. Meister Matthias Klare, unser Scharfrichter«, stellte Peltzer den Henker vor.
Meister Matthias schenkte den Anwesenden kaum Aufmerksamkeit, brummte nur einen verhaltenen Gruß und machte sich mit einem Lappen daran, die Klinge seines Schwertes zu säubern.
Schon immer hatten Scharfrichter für Jakob etwas Mysteriöses, Unheimliches verkörpert. Man fühlte sich niemals wohl in der Nähe dieser Männer, die in den meisten Städten nicht allein vom Tod und Schmerz anderer Menschen ihren Lebensunterhalt bestritten, sondern vor allem von der Abdeckerei, der Beseitigung störender Tierkadaver.
Die wenigen Scharfrichter, denen Jakob begegnet war, hatten allesamt ein verschlagenes, undurchschaubares Wesen an den Tag gelegt, und dieser Matthias Klare schien sich nicht davon auszunehmen. Ohne die anderen Männer in dieser Wachstube eines Blickes zu würdigen, saß er dort in der Ecke auf einem Hocker und reinigte gewissenhaft sein Breitschwert.
Jakob trat rasch aus der Tür und sog begierig die Luft ein. Peltzer und Laurentz folgten ihm.
Der Bürgermeister stellte sich an seine Seite, betrachtete ihn einen Moment lang und sagte dann: »Jakob, ich habe mir etwas |68| für Euch überlegt. Wie ich meinen eifrigen Freund Laurentz kenne, wird er sein Gutachten bereits in ein oder zwei Tagen verfaßt haben. Euer Interesse an diesem strafrechtlichen Prozeß wäre damit aber wohl keinesfalls zufriedengestellt. Warum laßt Ihr Euren Brautvater nicht allein nach Minden zurückkehren und bleibt bis zum Urteilsspruch in Osnabrück? Ich würde Euch die Gelegenheit geben, dem Prozeß aus nächster Nähe beizuwohnen. Außerdem könntet ihr die Zeit nutzen und Euch mit meiner privaten
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