Hexentage
voll entfaltete Hexenlehre duldete. Indem sie die juristischen Vollmachten der Inquisition sanktionierte, wies sie deren Kritiker in die Schranken.
Der
Malleus maleficarum
selbst, der sich in drei Teile gliederte, stellte eine ausführliche Erklärungsschrift zu dieser Bulle dar. Zunächst bot das Buch einen Einblick in das grundsätzliche Wesen der Zauberei. Im zweiten Teil war zusammengetragen worden, wie sich der Mensch vor dämonischen Krankheiten schützen konnte, und abschließend lieferte der dritte Abschnitt genaue Erläuterungen über den Ablauf der Hexenprozesse in Anlehnung an vorausgegangene Ketzerei- und Inquisitionsverfahren.
|71| Es bereitete Jakob Mühe, den
Malleus
zu studieren, denn das überaus komplexe Werk entführte ihn in eine Vielzahl von Ebenen, die es schwierig machten, den Aufbau des Ganzen zu durchschauen. Er irrte durch ein Labyrinth aus Argumenten, Gegenargumenten, Anmerkungen und Querverweisen, die ihn zwangen, viele Abschnitte mehrmals zu lesen, um den Sinn vollständig zu begreifen.
So kompliziert das Buch auch aufgebaut war – mit ein wenig Konzentration lieferte es ihm zahlreiche Antworten und Vergleiche. Man merkte den Verfassern an, wie eingehend sie sich mit der Materie befaßt und mit welcher Sorgfalt sie das Wissen aus zahlreichen anderen Werken zur Hexenlehre zu diesem umfassenden Handbuch zusammengetragen hatten.
Am zweiten Abend nach Laurentz’ Abreise nahm Wilhelm Peltzer Jakob zur Seite und sprach mit ihm auf einer Bank im Garten über die Wasserprobe, das in Osnabrück praktizierte Gottesurteil, welches in vielen deutschen Städten als umstritten galt und dort nicht mehr durchgeführt wurde. Bei dieser Wasserprobe wurden die Beschuldigten vom Scharfrichter mit einem Boot auf einen Fluß oder einen See hinausgefahren, ihre Daumen band man an den Zehen fest und warf sie so auf das Wasser. Sank die betreffende Person nicht in die Tiefe, galt die Schuld als erwiesen.
Jakob hatte an dieser Methode zur Urteilsfindung stets gezweifelt, da sie bekanntermaßen ihren Ursprung in den heidnischen Bräuchen des Altertums und der germanischen Stämme hatte. Peltzer widersprach ihm vehement und erklärte, es sei erwiesen, daß der Teufel von leichter und ätherische Natur beschaffen sei. In dem Moment, da sich ein Teufelspakt vollzog, sei das Opfer körperlich und geistig von dieser teuflischen Leere durchdrungen, und aus diesem Grund sei es einem solchen Körper nicht möglich, im Wasser nach unten zu sinken. Zudem wies er darauf hin, daß das heilige Element des Wassers einen mit schwerer Sünde beladenen Menschen ohnehin abstoßen würde.
|72| Jakob war sich im unklaren darüber, ob er Peltzer überhaupt im Kern der Sache zustimmen sollte. Weder in der Heiligen Schrift noch in ihm bekannten Gesetzestexten wurde die Wasserprobe als zulässiges Mittel zur Aufdeckung der Schuld aufgeführt. Vor allem aber mußte er daran denken, welch verhängnisvolle Wirkung das Wasser auf ihn selbst ausübte. Wie nur war es dem Teufel gelungen, dieses geheiligte Element zu nutzen, um in ihm die unheilvollen Gesichter heraufzubeschwören? Erschrocken fragte er sich, was geschehen würde, sollte man ihn eines Tages dieser Probe aussetzen. Würde das Wasser auch ihn abstoßen, weil er vom Teufel durchdrungen war und damit Schuld auf sich geladen hatte?
Eine Woche lang verbrachte Jakob seine Zeit annähernd ausschließlich im Haus des Bürgermeisters. Er las entweder im
Malleus maleficarum
oder unterhielt sich mit dem Bürgermeister über die Hexenprozesse. Einzig zum Besuch des Gottesdienstes in der Katharinenkirche am Samstagabend begleitete er die Familie Peltzer.
Nach diesen sieben Tagen schließlich schmerzte sein Rücken von der gebückten Haltung am Lesepult, seine Augen brannten, und selbst wenn er morgens aufwachte, plagte ihn schon ein pochender Kopfschmerz.
Frau Peltzer blieb seine Erschöpfung nicht verborgen. Sie riet ihm, sich ein wenig Bewegung zu verschaffen und sich die Stadt anzusehen. Jakob folgte ihrer Aufforderung, auch wenn ihn Osnabrück nur wenig interessierte. Doch die Frau des Bürgermeisters hatte recht, er brauchte frische Luft und Bewegung, ansonsten würde er schon bald nicht mehr in der Lage sein, die komplizierten Texte des
Malleus maleficarum
zu verstehen.
Als er das Haus verließ, schlug ihm ein kräftiger Wind ins Gesicht. Der Himmel war bedeckt, doch der Regen ließ noch auf sich warten. Jakob spazierte zwei Stunden lang durch die Stadt und merkte rasch, wie
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