Hexentage
zu lassen und entdeckte zu seinem Verdruß auf dem Gesicht seines jüngeren Bruders Martin eine ähnlich verborgene Schuld. Kein Wunder, daß dem Vater der Diebstahl aufgefallen war. Elsche, die nach diesem Vorfall das Haus verlassen mußte, hatte an den drei Söhnen des August Friederich Theis ihr gutes Geld verdient.
Es hatte Jakob über alle Maßen enttäuscht, daß Elsche nicht nur ihn, sondern auch seine Brüder verführt hatte. Allerdings glaubte er noch immer, daß sie ihn wirklich gemocht hatte.
In die Erinnerung versunken bemerkte Jakob zunächst nicht, daß sich jemand seinem Tisch näherte. Erst als die Person vor ihm stand und ihn grüßte, schaute er auf und blickte verwundert in das Gesicht der schwangeren Frau.
»Ich hoffe, ich habe Euch nicht erschreckt«, sagte sie und lächelte.
»Nein, nein … natürlich nicht«, stotterte Jakob und ärgerte sich sogleich über sein ungelenkes Auftreten.
»Darf ich mich zu Euch setzen?« fragte sie.
Jakob zögerte einen Moment. Er dachte daran, was Wilhelm Peltzer ihm berichtet hatte: daß diese Frau einen Bastard in sich trug und damit ihre Ehre verloren hatte. Es war nicht standesgemäß, sich mit einer solchen Person in der Öffentlichkeit zu zeigen. Andererseits war er hier in Osnabrück ein Fremder, also war die Gefahr, seinen Ruf aufs Spiel zu setzen, nicht sehr groß. Mit einer knappen Handbewegung forderte er sie auf, sich zu setzen.
Keuchend zwängte sie ihren Bauch unter den Tisch. Sie lächelte noch immer. »Entschuldigt, daß ich derart amüsiert bin«, sagte sie, »aber Ihr habt mich angestarrt, als hätte ich ein drittes Auge auf der Stirn.«
|76| Jakob bemühte sich, selbstsicherer zu wirken. »Darf ich Euch etwas zu trinken bestellen? Einen Krug Wein vielleicht?«
Sie schüttelte den Kopf und deutete auf ihren Bauch. »Bitte keinen Wein, der stößt mir sauer auf. Aber Ihr könntet mir ein Bier spendieren.«
Jakob nickte und rief dem Wirt zu, er möge einen Krug Bier bringen.
»Ihr wundert Euch gewiß, warum ich Euch einmal gefolgt bin und Euch jetzt anspreche.« Die Frau wurde ernster.
»Ich … ich weiß nicht einmal, wer Ihr seid.«
»Ich bin Sara Meddersheim. Mein Vater arbeitet als Goldschmied hier in der Neustadt. Nun, da Ihr meinen Namen kennt, dürfte ich da auch den Euren erfahren?«
»Jakob Theis. Meine Familie lebt in Minden.«
»Ich habe Euch am Gerichtstag an der Seite des Bürgermeisters Peltzer gesehen. Seid Ihr mit ihm verwandt?«
»Der Bürgermeister ist ein Freund meines Brautvaters.«
»Und was führt Euch nach Osnabrück?«
»Ich werde im nächsten Jahr die Rechtswissenschaften studieren, und aus diesem Grund bleibe ich noch ein paar Wochen in der Stadt, verfolge die Arbeit des Rates und beobachte den Ablauf der Hexenprozesse.«
Als er die Hexenprozesse erwähnte, biß Sara Meddersheim sich kurz auf die Unterlippe. »Ich bin Euch am Gerichtstag aus einem bestimmten Grund bis zum Bucksturm gefolgt. Sagt mir, habt Ihr Frau Ameldung gesehen?«
Jakob zögerte. »Ich habe sie gesehen, aber warum, in Gottes Namen, sollte Euch das interessieren? Was habt Ihr mit diesem Hexenweib zu schaffen?«
Ihr Blick verdunkelte sich. »Ich kenne Anna Ameldung seit Jahren. Sie ist eine untadelige und fromme Frau. Warum seid Ihr so überzeugt davon, daß sie eine Hexe ist?«
»Es wurden schwerwiegende Beschuldigungen gegen sie ausgesprochen.«
|77| »Pah! Die Anschuldigungen eines verblödeten Vetters, mit dem dumme Scherze getrieben wurden, kann doch niemand wirklich ernst nehmen. Nur der Rat und insbesondere der Bürgermeister stürzen sich begierig auf jedes Gerücht und verurteilen diese Frau als Hexe.«
Jakob trank einen Schluck Wein und erwiderte: »Viele Frauen, die verhaftet wurden, haben ihre Schuld zunächst geleugnet. Später stellte sich dann heraus, daß sie zu Recht beschuldigt wurden. Sie gestanden ihr schmähliches Hexenwerk und legten vor Gott ein Zeugnis ihrer Schuld ab. Wollt Ihr diesen Umstand leugnen?«
»Ich leugne nicht, daß diese Frauen ein Schuldgeständnis abgelegt haben, aber es ist allgemein bekannt, daß ihnen solche Geständnisse unter der Folter abgepreßt werden. Wie stark wäre Euer Wille, die schrecklichsten Schmerzen zu ertragen? Auch für Euch gäbe es einen Punkt, an dem Ihr alles gestehen würdet, um von der Pein erlöst zu werden. Alles, auch daß Ihr ein Zauberer wäret.«
Die Worte der Frau machten Jakob zornig. Wie konnte es sich diese ehrlose Handwerkertochter, die einen Bastard in
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