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Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Wilcke
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wirklich das Vernünftigste, gab er ihr im stillen recht. Zwar gefiel Jakob der Gedanke nicht, die Nacht in einem fremden Haus zu verbringen, aber andererseits fühlte |85| er sich einfach zu schwach für einen Fußmarsch durch die halbe Stadt.
    »Also gut«, erklärte er nach kurzem Zögern.
    Sara nickte zufrieden, säuberte ihre Utensilien und packte sie zurück in die Schatulle.
    »Es war sehr freundlich von Euch, mir zu helfen«, sagte er leise.
    »Obwohl Ihr es nicht verdient hättet«, erwiderte Sara und ließ deutlich den unterschwelligen Vorwurf in dieser Bemerkung erkennen. Sie stand auf und ging zur Tür.
    »Sara«, rief er, als sie die Kammer verlassen wollte.
    Sie drehte sich langsam um und schaute ihn fragend an.
    Jakob zögerte. Es gefiel ihm nicht, sie so niedergeschlagen zu sehen. Und was machte es schon für einen Unterschied, ob er es ihr erzählte oder nicht? Außerdem glaubte er mittlerweile auch nicht mehr daran, daß sie ein Hexe war.
    »Anna Ameldung wirkte sehr kraftlos«, sagte er. »Nicht nur ihr Körper, auch ihr Geist ist erschöpft. Sie hat stark geschwitzt. Ich nehme an, daß sie von einem Fieber geschwächt wird. Ihr Fußgelenk hat sich an einer Eisenkette aufgeschabt und entzündet. Sie bat mich, für sie zu beten.«
    »Und … habt ihr es getan?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich … ich war zu sehr beschäftigt.«
    »Das bin ich auch«, sagte Sara. »Aber ich habe jeden Tag für Anna Ameldungs Wohlergehen und um Gerechtigkeit zu Gott gebetet, auch wenn ich mir manchmal nicht sicher bin, ob er mir wirklich zuhört.«
    Sie blickten sich eine kurze Weile ernst an, dann wünschte Sara Jakob eine gute Nacht, löschte das Licht und verließ die Kammer.

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    |86| Kapitel 10
    Grelles Sonnenlicht, das durch die halb geöffneten Fensterläden in die Kammer fiel, weckte Jakob. Träge blinzelnd öffnete er die Augen, zu müde, um sich im ersten Moment daran zu erinnern, an welchem Ort er sich befand.
    Ein unbedachtes Rollen auf die linke Seite ließ ihn vor Schmerz zusammenzucken. Vorsichtig stieg er aus dem Bett, klappte die Fensterläden auf und schaute an sich herunter. Sein Hemd war an der rechten Seite zur Hälfte zerschnitten und mit Blut befleckt. Jakob zog es hoch, schob den Verband zurück und betrachtete die Wunde. Sie blutete nicht mehr, schmerzte aber noch bei der geringsten Berührung. Das Fleisch war sauber zusammengenäht worden, die Stiche in exaktem Abstand gesetzt, aber eine häßliche Narbe würde trotz Saras Künsten zurückbleiben.
    Wo war Sara? Jakob wollte sie suchen, aber zunächst mußte er sich erleichtern. Er bückte sich langsam, um seine Verletzung nicht zu sehr zu belasten, und schaute nach, ob unter dem Bett ein Nachttopf stand. Als er nichts dergleichen entdeckte, tapste er mit nackten Füßen aus der Kammer und sah, daß sich auf dem Korridor direkt gegenüber ein zweites Zimmer befand. Er klopfte an die Tür, doch niemand reagierte. Zögernd drückte er die Klinke nach unten und trat in einen größeren Raum, bei dem es sich offensichtlich um Saras Schlafkammer handelte, denn auf einem Schemel neben dem Bett entdeckte er die Kleidung, die sie gestern getragen hatte. Sara selbst war nicht in der Kammer.
    Jakob blieb in der Tür stehen und schaute sich um. Er war es gewohnt, sich in Zimmern aufzuhalten, die einfach eingerichtet waren, ohne viel Aufwand und Zierat. Was er in dieser Kammer sah, versetzte ihn jedoch in Erstaunen. Als erstes fiel ihm ein großer runder Teppich auf, der fast die gesamte Fläche des Bodens bedeckte. Er war herrlich gearbeitet, durchwirkt von seidenen und goldenen Fäden, die sich zu einem bunten Blumenmuster |87| zusammensetzten. An einer Wand war ein weiterer Teppich angebracht worden, der ein geknüpftes Motiv zeigte – einen mit Pfeil und Bogen bewaffneten Reiter in fremdartiger Kleidung.
    Er ging ein paar Schritte in das Zimmer hinein, und sofort fielen ihm neue verwunderliche Dinge auf. In einer der hinteren Ecken waren mehrere bunte Kissen aus Samt zusammengelegt worden und bildeten einen Halbkreis um ein Holztischchen, auf dem sich eine kunstvoll verzierte Karaffe aus Keramik und zwei nicht minder prächtige Trinkbecher befanden. Auf der Fensterbank entdeckte er die geschnitzte Holzfigur eines Elefanten. Jakob hatte solch ein Tier noch niemals leibhaftig gesehen, aber er erinnerte sich an ein Buch des Orient-Reisenden Pietro Della Valle, aus dem ihm sein Vater oft vorgelesen hatte. Aus diesem Buch hatte Jakob zum

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