Hexentage
seiner Kammer die Schritte und das Tuscheln des Gesindes vor seiner Tür hören. Wilhelm Peltzer ereiferte sich lautstark über den ungeheuren Zwischenfall, während seine Frau Jakob besorgt musterte und die Hände zu einem stillen Gebet gefaltet hatte.
»Gott, was ist nur aus dieser Stadt geworden«, schimpfte Peltzer, während sich der Arzt, ein alter Mann mit gichtverkrümmten Fingern daran machte, Jakobs Wunde zu untersuchen. Jakob verfolgte argwöhnisch seine Bemühungen und war erleichtert, daß Sara Meddersheim seine Verletzung behandelt hatte und nicht dieser Greis, dessen Hand so heftig zitterte, daß er wohl kaum einen Apfel damit festhalten konnte.
»Ich werde mich an die schwedische Kanzlei, ja an den Statthalter Münzbruch persönlich wenden«, ereiferte sich Peltzer. »Die Zustände sind unerträglich geworden. Ehrbare Bürger werden grundlos von betrunkenen Söldnern auf offener Straße niedergestochen.« Er ballte die rechte Hand drohend zur Faust. »Man sollte sie rädern und vierteilen, diese schwedischen Hunde.«
»Ich lebe ja noch«, versuchte Jakob ihn zu beschwichtigen und zuckte im selben Moment zusammen, als der Arzt einen Finger auf die Wunde legte.
»Das habt Ihr der Frau zu verdanken, die sich um Euch gekümmert hat«, meinte der Arzt. »Ihr sagt, es war Sara, die Tochter des Goldschmieds?«
Jakob hatte von den Vorfällen ausführlich berichtet, Peltzer und dem Arzt gegenüber allerdings verschwiegen, daß Sara ihn auf die Hexe Anna Ameldung angesprochen hatte. Niemand brauchte davon zu erfahren. Jakob mußte an Saras Kammer und all die außergewöhnlichen Gegenstände denken, die sie dort aufbewahrte.
Der Arzt schloß seine Untersuchung zufrieden ab. »Ich kenne |93| diese Frau und teile ihre Vorstellungen über die Medizin nicht. Allerdings muß ich ihr zugestehen, daß sie über gewisse Fertigkeiten verfügt. Die Wunde ist gut versorgt worden. Ich glaube nicht, daß wir eine Entzündung befürchten müssen. Dennoch verordne ich Euch zwei bis drei Tage strikte Bettruhe.«
»Dafür werde ich Sorge tragen«, versicherte ihm Frau Peltzer.
Der Bürgermeister stapfte in der Kammer auf und ab. »Wir werden jemanden schicken, um die Dienste dieser Frau zu entlohnen.«
»Bitte wartet noch damit«, warf Jakob ein.
»Aus welchem Grund?«
»Ich würde diese Aufgabe gerne in einigen Tagen selbst übernehmen, wenn es mir wieder besser geht.«
Peltzer nickte. »Ich verstehe, Ihr möchtet Euch persönlich bedanken. Also gut, warten wir noch ab.«
Jakob lächelte und lehnte sich zufrieden zurück, in stiller Freude auf den Tag, an dem er dem wundersamen Haus der Meddersheims einen zweiten Besuch abstatten würde.
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Kapitel 11
Jakob schonte sich und verbrachte die nächsten beiden Tage ausschließlich in seiner Kammer. Der Schnitt an seiner rechten Hüfte hatte sich gelblich braun wie die faule Stelle eines Apfels verfärbt, aber zumindest schmerzte er nicht mehr so heftig. Nur wenn Jakob sich in der Nacht auf die rechte Seite wälzte, wurde er durch einen grellen Stich aus dem Schlaf gerissen.
Frau Peltzer umsorgte und behandelte ihn zu seinem Verdruß eher wie einen achtjährigen Knaben, nicht wie einen achtzehnjährigen Mann. Sie saß oft an seinem Bett, las ihm aus der Bibel vor, brachte ihm sein Essen auf das Zimmer und ließ sogar Honigplätzchen heranschaffen, damit es ihm an nichts fehlte. Sie |94| gestand ihm, daß sie sich für das Unheil, das ihm widerfahren war, in gewisser Weise verantwortlich fühlte, da sie es gewesen war, die ihn dazu überredet hatte, seine Studien zu unterbrechen und die Stadt zu erkunden. Jakob bat sie inständig, sich keine Vorwürfe wegen dieses Mißgeschicks zu machen. Gerne hätte er ihr gesagt, wie dumm er sich verhalten hatte, als er aus der Schankwirtschaft gestürmt war, weil er glaubte, eine Hexe würde ihn verfolgen. Hätte er besonnener gehandelt, wäre er wohl kaum mit den betrunkenen Schweden aneinander geraten. Er verzichtete jedoch darauf, Peltzers Ehefrau die genaueren Umstände seiner Begegnung mit Sara Meddersheim zu erläutern, und nahm dafür in Kauf, daß die Frau des Hauses ihn weiterhin so aufopfernd bemutterte.
Am dritten Tag schließlich, als er sich wieder bei Kräften fühlte, stand Jakob aus seinem Bett auf und ließ sich von Wilhelm Peltzer den Schlüssel zum Bibliothekszimmer aushändigen. Er las im
Malleus maleficarum
, doch das Buch hatte an Wirkung auf ihn verloren. Konnten ihn die Worte der Inquisitoren vor dem
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