Hexer-Edition 01: Die Spur des Hexers
der sonderbare Geruch, der nicht des verwesenden Laubes war, sondern etwas anderes, unbeschreiblich Fremdes und Falsches …
Und den fünfzehn Yards durchmessenden Fleck feucht aufgelösten Erdreiches, der den Weg verschlungen hatte, und in dessen Mitte der Wagen zum Halten gekommen war. So präzise, als hätte ihn ein Geometer mit Zirkel und Faden dort platziert.
War er denn blind gewesen? Sie … sie waren da!
»Um Gottes willen!«, keuchte er. »Wir … wir müssen weg! Schnell!« Das letzte Wort schrie er.
Wie von Sinnen fuhr er herum, packte den völlig überraschten Kutscher bei den Armen und zerrte ihn in die Höhe und mit sich, fort von dem Wagen und dem schrecklichen schwarzen Kreis geronnener Erde, die keine Erde war, sondern etwas gänzlich anderes, Entsetzliches. Plötzlich ging alles unglaublich schnell. Irgendwo in dem schmalen Bereich des Sichtbaren, der stets nur aus den Augenwinkeln heraus wirklich sichtbar war, bewegte sich etwas; etwas Schwarzes und Glänzendes und widerwärtig Schleimiges, die Schatten zogen sich mit einem Ruck um die beiden Männer herum zusammen, und die Kälte wurde so intensiv, dass sie schmerzte. Seine Füße fanden plötzlich keinen Widerstand mehr und sanken mit sonderbar unangenehmen, saugenden Lauten in den weichen Morast ein, Morast, der plötzlich ganz und gar nicht mehr tot war, sondern voller widerwärtig kribbelnder, huschender Bewegung, Dingen, die wie mit knotigen Gichtfingern nach seinen Beinen griffen, sich um seine Knöcheln wanden und an seinen Waden emportasteten. Andara schrie auf, verdoppelte seine Anstrengungen und überwand die letzten Yards mit einem verzweifelten Satz, ehe er, noch immer den Kutscher mit sich zerrend, zu Boden fiel und einen Moment benommen liegenblieb. Unter ihnen zitterte die Erde, und für einen ganz kurzen Moment glaubte er einen Schrei zu hören, den lautlosen, aber dafür um so wütenderen Schrei eines gewaltigen finsteren Dinges, das sich seines Opfers schon sicher geglaubt hatte und es im letzten Moment entkommen sehen muss.
Mühsam richtete er sich auf, ließ endlich die Schultern des Kutschfahrers los und sah zum Wagen zurück. Der Anblick ließ ihn schaudern. Grauer Dunst stieg wie Dampf aus dem Boden. Ein entsetzlicher Gestank hüllte die beiden Männer ein und schnürte ihnen die Kehlen zu. Der schwarze Morast war nicht mehr still, sondern kochte und zuckte wie ein Kessel voller blasig geschmolzenem Teer. Faustgroße, ölig glänzende Blasen stiegen aus der entsetzlichen Masse hervor und zerplatzten mit weichem Geräusch, und irgendwo dicht unterhalb der Grenzen des gerade-noch-Erkennbaren bewegte sich etwas faserig Schwarzes. Die Zugpferde waren vollends in Panik geraten und zerrten und rissen mit aller Gewalt an ihrem Geschirr, dass der Wagen wie ein leckgeschlagenes Ruderboot im Sturm schaukelte und jeden Moment umzustürzen drohte. Aber er fiel nicht. Irgend etwas hielt ihn fest.
»Großer Gott!«, stöhnte der Kutscher. Wie Andara hatte er sich hochgerappelt und auf Hände und Knie erhoben, und wie er war er beim Anblick des entsetzlichen Geschehens erstarrt. Seine Augen waren groß und dunkel vor Schrecken. »Was … was ist das?«, keuchte er.
»Eine Falle«, antwortete Andara düster. »Sie galt mir.« Er stand auf, zog den Mann unsanft auf die Füße und deutete mit einer Kopfbewegung in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Weg hier. Wir sind noch nicht in Sicherheit.«
Er wollte loslaufen, aber der Kutscher riss seinen Arm los, starrte erst ihn, dann den Wagen und dann wieder ihn aus hervorquellenden Augen an und versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur ein unartikuliertes Stöhnen hervor.
»Verdammt noch mal – wir müssen weg!«, sagte Andara verzweifelt. »Wir sind noch nicht in Sicherheit. Sehen Sie!« Seine Rechte deutete auf den Rand der sumpfig aufgelösten Erde, der sie gerade entkommen waren. Der Fleck hatte seine perfekte Kreisform verloren. Seine Ränder begannen zu zerbröckeln. Der staubtrockene Lehm schmolz, löste sich in kleine glitzernde Klumpen und schließlich in feuchtbrodelnde Schwärze auf, unter der etwas Dunkles tobte. Es war, als bilde der Sumpf eine Zunge, die er der entkommenen Beute nachschickte. Ihr Rand hatte die Schuhe des Kutschers fast erreicht.
Aber wenn der Mann die Gefahr überhaupt bemerkte, dann reagierte er nicht. Voller Entsetzen sah er Andara an, hob hilflos die Hände und starrte zu seinem Gespann hinüber. Der Wagen stand jetzt in merklicher Schräglage
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